Klangnetz und Geschichtslektion

Toninstallationen der Singuhr-Hörgalerie im Wasserspeicher in Prenzlauer Berg

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.
»Turntable History« des amerikanischen Wahl-Berliners Arnold Dreyblatt
»Turntable History« des amerikanischen Wahl-Berliners Arnold Dreyblatt

Feine Ohren braucht man und leise auftretende Mitbesucher, will man erfahren, was die Singuhr-Hörgalerie in der diesjährigen, zweiten Ausstellungssaison im Wasserspeicher in Prenzlauer Berg installiert hat. Besonders trifft das auf den großen Wasserspeicher in der Belforter Straße zu. Dort sucht der amerikanische Künstler Terry Fox einen Bezug zwischen der Gewölbearchitektur mit ihren konzentrischen Gängen und dem berühmten Labyrinth in der Kathedrale zu Chartres.

Was in Chartres für den Pilger als Einweihungsweg von über 260 Metern gedacht ist, als Christussymbol gedeutet wird und auch Zahlengeheimnisse nach den Denkmustern des Pythagoras enthält, findet im Wasserspeicher nur formale Korrespondenz. Nicht umsonst hat sich Fox von 1971 bis 1978 intensiv in Skulptur, Zeichnung, Environment, Performance mit jenem Labyrinth befasst. So setzt er die 34 Kehren beim Gang durch den verschlungenen Pfad in Chartres, der auch für den Weg des Menschen zu sich selbst steht, in Beziehung zu den 34 Kammern im Außenring des Speicherraums.

Dort bindet grobkristallines Salz auf Blechen die Luftfeuchte und verändert die Akustik – unhörbar für unsere Ohren. Die speisen im Zentrum des fast dunklen Objekts Lautsprecher mit minimalistischen Klängen, die Mikrofone oben auf dem Hügel einfangen und nach drinnen leiten. Bei Blitz und Donner aber, erzählt der Mann am Einlass, ändere sich das extrem. In jedem Fall schärft sich dem Spaziergänger durch die konzentrischen Gänge der Hörsinn für ein filigranes räumliches Klangnetz. Dass »34 Turns« die letzte Arbeit des 2008 verstorbenen Terry Fox ist, macht sie in ihrer gedämpften Stimmung gleichsam zu seinem Memorial.

»Turntable History« nennt der amerikanische Wahl-Berliner Arnold Dreyblatt seine Installation für den kleinen Wasserspeicher in der Diedenhoferstraße. Dazu hat er dessen Historie in Archiven recherchiert und vieles auf Dias kopiert. Ein motorgetriebener »media turntable« in der Speichermitte, fest installierte Diaprojektoren sowie ein Mehrkanal-Lautsprechersystem versorgen den Raum mit Bild und Klang. An Bildern erscheinen auf den Backsteinwänden alte Lageskizzen in Schönschrift und Sequenzen aus Texten, die indes rasch wieder fortgewischt werden. Der Drehtisch im Zentrum legt fest, an welche Wand als nächstes projiziert wird. Viel lesen kann man nicht, erhält nur fragmentarische Aufklärung zu Baugeschichte und Speichernutzung über die Zeiten. Während sich der Blick dauernd wendet, der Besucher sich fortbewegt, dreht, bisweilen selbst zur Leinwand wird, dringt ihm brummtöniger Resonanzklang ins Ohr, wie ein Kernspintomograf ihn vorab erzeugt hat. Mechanismen und Motorik des Erinnerns und Bewahrens möchte die multisensorische Installation thematisieren.

Auf Verkehrsinseln zu beiden Stirnseiten des Speichergeländes hat der Berliner Stefan Rummel seine Installation »Fehlformen« platziert. Um eine Linde herum gruppiert er Teile eines Würfels mit eingebauten Lautsprechern, die Rauschen erzeugen, sobald man sich nähert. Was an dem Würfel ausgespart ist, hängt auf der anderen Geländeseite in einer Kastanie, dort ohne Klang.

Ab dem 25. Juli wird im Großen Wasserspeicher die Installation »Unpacking« von Paolo Piscitelli gezeigt, im Kleinen Wasserspeicher schaffen Studenten dann den »Klangspeicher – global/local«.

Bis 12.7., Mi.-So. 14-20 Uhr, weitere Informationen unter www.singuhr.de

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