Diplomatisches Geschick bewiesen

Der umstrittene Besuch von Thomas Mann in Weimar vor 60 Jahren

  • Martin Stolzenau
  • Lesedauer: 3 Min.

In Weimar erinnert eine große Bronzetafel am Deutschen Nationaltheater an den Besuch von Thomas Mann im Goethejahr 1949. Vom Gerangel hinter den Kulissen, im Vorfeld der Visite, ist kaum mehr etwas bekannt.

Heinz Winfried Sabais, dem als Sekretär des Goethe-Ausschusses die Weimarer Planung zum Jubiläumsjahr oblag, hatte die Einladung und Würdigung des von den Nazis ins US-Exil gezwungenen Schriftstellers vorgeschlagen. Der Humanist von Goetheschem Geist müsste doch von allen politischen Fraktionen unbefangen begrüßt werden. Weit gefehlt! Auf einer Sitzung des Weimarer Stadtparlaments, wo es eine bürgerliche Mehrheit gab, prallten im Februar 1949 die Meinungen aufeinander. Der Streit artete in Tumult aus. Die SED-»Linksradikalen« lehnten den Schriftsteller als »verlängerten Arm der Wallstreet« ab. Die Bürgerlichen verargten ihm seine Kritik an ihrer Blindheit vor den erstarkenden Nazis am Ende der Weimarer Republik. Die Sitzung wurde ohne Beschluss abgebrochen.

Thomas Mann nahm die Einladung an. Vier Jahre nach dem Krieg betrat er erstmals wieder deutschen Boden, zunächst westdeutschen. Ende Juli 1949 weilte ere mit seiner Frau in Frankfurt/ Main, dann fuhr er nach Weimar: »Ich hätte es als unschön und treulos empfunden, wenn ich die Bewohner der sogenannten Ostzone links liegengelassen hätte.« Der Dichter hatte noch einen Grund: Zum 100. Todestag Goethes 1932 hatte er in Weimar den Festvortrag mit seiner berühmten und ihm noch lange verübelten Kritik und Mahnungen an die Adresse des Bürgertums gehalten.

Die Ausgestaltung des Besuchs des Nobelpreisträgers kam dem eines Staatsgastes gleich. Kein Geringerer als Becher holte ihn am 31. August aus Bayreuth ab. In Weimar nahmen die Manns Quartier im Hotel »Augusta«, wo sie von regionaler und lokaler Prominenz begrüßt wurden. Am nächsten Tag folgte der Festakt im Nationaltheater mit Mozart-Musik vom Weimarer Bosse-Quartett, der Übergabe des Ehrenbürgerbriefs sowie des Goethe-Nationalpreises. Wieder wurden auch Reden gehalten. Becher pries Mann als »Sprachbildner« und »Menschengestalter«. Dann hob Thomas Mann mit seiner in Ost und West mit Spannung erwarteten Dankesrede an. Er war sich der politischen Gratwanderung in einer Zeit der fortschreitenden deutschen Spaltung bewusst, offenbarte Geistesgröße sowie diplomatisches Geschick. Mann betonte, dass »gewisse, schwer erkämpfte und unveräußerliche Errungenschaften der Menschheit, Freiheit, Recht und Würde des Individuums nicht untergehen dürfen, sondern ... heilig bewahrt und in die Zukunft überführt werden müssen«. Dieser Wink, es könne nicht einen Alleinanspruch auf politischen Fortschritt geben, wurde mit stürmischem Beifall quittiert. Nach dem Festakt besuchten die Manns das Goethe-Haus, die Fürstengruft. Das Preisgeld stiftete der Geehrte dem Wiederaufbau der Herderkirche.

Am 2. August nahmen die Manns Abschied. War man in Ostdeutschland über deren Stippvisite überglücklich, so verübelten westdeutsche Medien dem Schriftsteller den Besuch in Weimar als »Parteinahme für den Kommunismus.«

1955, kurz vor seinem Tod, wagte er sich noch einmal nach Weimar. Sabais traf er nicht an, denn dieser war 1950 in den Westen geflohen, wo er in Darmstadt als Kulturreferent, Stadtrat und schließlich als Oberbürgermeister wirkte.

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