Gesammeltes Radikales

Die ehemalige Antifa-Gruppe TOP weiß viel über den Kapitalismus – nur, wie kriegt man ihn weg?

  • Axel Berger
  • Lesedauer: 5 Min.
Hauptanliegen von TOP – die richtige Analyse unter die Leute bringen.
Hauptanliegen von TOP – die richtige Analyse unter die Leute bringen.

Keine Frage: Es hat sich viel getan in der bundesrepublikanischen Antifa-Bewegung in den vergangenen Jahren. Vor allem das schärfere Vorgehen der Staatsorgane nicht nur gegen die braunen Schlägertrupps und ihre politischen Formationen hat dazu beigetragen. Auch die Instrumentalisierung des Antifaschismus durch den damaligen Außenminister Joschka Fischer zur Durchsetzung deutscher Kriegsfähigkeit hat die in den 1990er Jahren dominierende Praxis in Frage gestellt, sich auf die Mobilisierung gegen die nicht nur kahlköpfigen Vorreiter »national befreiter Zonen« zu konzentrieren. Dass Antifaschismus sogar dem Ziel von Emanzipation entgegengesetzt sein kann, hat die Krise der dezidiert linksradikalen Antifa-Bewegung eingeleitet, die sich im Scheitern der bundesweiten Organisationsstruktur endgültig manifestierte. Im April 2001 löste sich die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) auf.

Die Folgen dieser Orientierungslosigkeit waren auch in Berlin zu spüren. Die größte der AA/BO-Mitgliedsgruppen, die Antifaschistische Aktion Berlin, spaltete sich. Aber nicht nur das. Ihre beiden Nachfolgegruppen veränderten sich zum Teil erheblich. Die Antifaschistische Linke (ALB) erweiterte vor allem ihr Themenspektrum, was sich durch ihre Mitgliedschaft im Netzwerk der Interventionistischen Linken widerspiegelt. Während sie aber sowohl im Auftreten als auch konzeptionell mit ihrer früheren Praxis zu identifizieren blieb, war der andere, mittlerweile auch wieder überholte Strang kaum mehr wiederzuerkennen.

Unter dem in der linken Historie nicht gerade unbekannten Label KP – was diesmal Kritik und Praxis Berlin bedeutete – formulierte die Gruppe als Arbeitsprogramm vor allem die Entwicklung einer »Kapitalismuskritik auf der Höhe der Zeit«. Eingelöst hat sie diesen hohen Anspruch kaum. Trotz einer Vielzahl von Veranstaltungen, die die KP organisierte, zu denen allerdings zumeist Gäste referierten, während die Veranstalter selbst erstaunlich wenig beitrugen. Ihre Nachfolgeorganisation konnte diesem Ziel zumindest ein wenig näher kommen. Die Berliner Gruppe Theorie.Organisation.Praxis, kurz TOP, und das federführend von ihr anlässlich der Heiligendamm-Proteste geschaffene »…ums Ganze!«-Bündnis, das sich selbst antinational-kommunistisch verortet und mittlerweile acht im Bundesgebiet verteilte Gruppen verbindet, haben nun ein mehr als hundert Seiten langes Selbstverständnis vorgelegt. Schon der Titel »Staat, Weltmarkt und die Herrschaft der falschen Freiheit« verrät die Loslösung vom Antifaschismus als Konstituens der Gruppen, aber auch ihre mittlerweile erfolgte Distanz vom antideutschen Impetus der KP.

Politik als Antipolitik

Allerdings sollte man sich von dem Umfang der durchaus erschwinglichen Broschüre – sie ist für einen Euro zu haben – nicht zu sehr beeindrucken lassen. Nicht nur die vielen Bildseiten, sondern auch die teilweise häufigen Wiederholungen reduzieren den Inhalt zumindest in umfänglichem Sinne doch erheblich. Was übrig bleibt, lohnt den Blick aber dennoch.

Zusammenfassend könnte man die Positionen als durchaus gefällig geschriebenen maximalistischen Eklektizismus bezeichnen. Denn Anleihen und Begriffe werden sowohl vom klassischen Marxismus, als auch der kritischen Theorie, der Staatsableitungstendenz der 70er Jahre, der Wertkritik, wie auch einzelnen dissidenten marxistischen Theoretikern wie etwa Johannes Agnoli oder Cornelius Castoriadis entlehnt. Nicht immer bleibt dies widerspruchsfrei.

Im Zentrum der Auseinandersetzung steht die Bestimmung des bürgerlichen Staates als »einer Instanz, die außerhalb der kapitalistischen Konkurrenz steht, und die Voraussetzungen der Konkurrenz schützt«. Seine Handlungsspielräume erhalte dieser »ideale Gesamtkapitalist« aus dem Erfolg seiner wirtschaftlichen Subjekte auf dem Weltmarkt, die sich im steuerlichen Rückfluss ausdrücken. Erinnerungen, teilweise sogar in sprachlicher Hinsicht, an eine bereits in den 1970er Jahren von der »Marxistischen Gruppe« herausgegebene Broschüre zum »bürgerlichen Staat« scheinen beabsichtigt zu sein.

Konsequent ergibt sich aus dieser Analyse des »Garanten von Freiheit, Gleichheit und Eigentum«, dass Politik im Sinne der Autoren immer »Antipolitik« sein müsse, d. h. jenseits von allen Institutionen stattzufinden habe. Denn deren »kapitalistische Formbestimmtheit« führe jeglichen Emanzipationsversuch, z. B. durch Mitarbeit in den Parlamenten, von vornherein ad absurdum. Johannes Agnoli lässt grüßen.

Argumentative Schwächen weist die Broschüre immer dort auf, wo die Analysen historisch-konkret werden. Dies gilt nicht nur für die Kapitel zum Realsozialismus oder der deutschen Staatsgeschichte, sondern auch für das ehemalige Arbeitsfeld vieler TOP-Aktivisten: den Nationalsozialismus. Offensichtlich unterliegen sie hier einem Zwang, ein auf den Chicagoer Historiker Moishe Postone zurückgehendes Erklärungsmuster zu integrieren, das im letzten Jahrzehnt sehr modisch war. Postone versteht Antisemitismus als einen personalisierten und vordergründig gegen das mit den Juden identifizierte »raffende Kapital« gerichteten Antikapitalismus. Hier lösen sich die Autoren von der ansonsten hoch gehaltenen materialistischen Herangehensweise.

Immer die besseren Argumente

Und noch eines fällt auf: Die Subjektlosigkeit des Ansatzes, die zweifelsohne der von den Gruppen hoch geschätzten neuen wertkritischen Schule um den Berliner Theoretiker Michael Heinrich zu verdanken ist. So sucht man das Wort Klasse im Text vergeblich. Bei der Durchforstung der Bücherschränke konnte man so wenigstens die Literatur zur im Marxismus stets kontrovers diskutierten Entstehung von Klassenbewusstsein links liegen lassen. Diese Leerstelle ist bezeichnend. Denn der gravierendste Unterschied zur Interventionistischen Linken, von der sich das TOP-Spektrum denn auch entschieden abgrenzt, ist dessen Bewegungsfeindlichkeit. Nimmt man an großen linken Demonstrationen teil, dann deshalb, um den anderen die Welt zu erklären. Am besten formliert TOP diese Haltung selbst: »Fast alles spricht gegen eine Teilnahme an der Großdemonstration zur Wirtschaftskrise«, schreibt die Gruppe kurz vor der Demo am 28. März in der »Jungle World«. »Gerade deswegen sollte man hingehen und das falsche Ganze entlarven.« Auf die Frage, wie denn nun der Abgang des Kapitalismus zu organisieren sei, antwortet ein Sprecher des Ums-Ganze-Bündnisses dann auch vor allem mit dem Hinweis auf »ein paar gute Argumente«, die man dazu habe. Ob das reicht, darf zwar bezweifelt werden, aber finden lassen sie sich in der Broschüre schon. www.top-berlin.net

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal