Touristen fahren auf Mini-U-Bahn ab

Rund 80 000 Fahrgäste testeten am Wochenende die neue Strecke / Eisstation Brandenburger Tor

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 3 Min.

»Fünf Aussteiger, fünf Einsteiger«, notiert Rolf Förster an der U-Bahnstation Hauptbahnhof. »Etwas mau«, findet er, die Neugier auf die neue U-Bahn-Linie 55 hatte gestern schon etwas nachgelassen. Förster zählt für die BVG die Fahrgäste auf der neuen Strecke, rund 10 000 waren es gestern. Am Sonnabend zur Eröffnung hätten seine Kollegen natürlich viel mehr zu tun gehabt. Da waren die Fahrten auch gratis – seit gestern muss man für die drei Stationen mindestens ein Kurzstreckenticket für 1,30 Euro gelöst haben, vorausgesetzt, man will nicht umsteigen.

Am Sonnabend wollten die meisten nur Schauen und Fotografieren. 70 000 Fahrgäste zählte die BVG zur Premiere der kürzesten und teuersten Berliner U-Bahn-Strecke. Der Fahrplan, der einen Zehn-Minuten-Takt vorsieht, war schnell Makulatur. »Wenn der Zug voll ist, fährt er los«, ordnete U-Bahn-Chef Hans-Christian Kaiser kurzerhand an. Wichtigster Mann zur Premiere war natürlich Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der sich die blaue BVG-Schirmmütze aufsetzte, die grüne Kelle hob und der U 55 »immer eine gute Fahrt« wünschte. Ein in jeder Beziehung einmaliger Akt, Zugabfertiger gibt es bei der BVG schon lange nicht mehr.

Wowereit nannte die neue Linie »klein und fein« und erwartet hauptsächlich Touristen, die auf die Mini-Linie abfahren. Schon am Eröffnungstag lag er damit richtig, die Wagen waren erfüllt von einem babylonischen Dialektgewirr. »De nächschte Bahnhof isch Untern Linden«, informierte eine Dame ihren Gadde nicht ganz korrekt. Sie hatte die gestrichelte Linie in der BVG-Netzspinne falsch gedeutet. Zur Station Unter den Linden wird sie frühestens in acht Jahren weiterfahren können. Bis dahin ist am Brandenburger Tor Endstation.

Immerhin kann man hier von der U- in die S-Bahn umsteigen, oder umgekehrt. Wolfgang und Ingrid Beyer aus Köln gehörten gestern zu den wenigen, die diese Möglichkeit nutzten, weil sie mit schwerem Gepäck unterwegs waren. »Unser Kurzurlaub ist zu Ende, hier umzusteigen ist einfacher als im Bahnhof Friedrichstraße.«

Die meisten kamen aber am Wochenende zum Sightseeing. Und waren beeindruckt. »Nicht ganz wie in Moskau, aber die Stationen sind schon eindrucksvoll«, fanden Monika Schaaf und Peter Plage aus Zehlendorf. Natürlich wurde auch ein bisschen genörgelt, etwa über solche Kleinigkeiten wie die Kosten. 320 Millionen Euro für 1,8 Kilometer Strecke seien ganz schön happig, meinte Rolf Borowski aus Reinickendorf. »Aber deshalb heißt sie wohl Kanzler-Linie«.

Vielbeschäftiger Mann am Eröffnungswochenende war Bahnhofsmanager Andreas Petrenz, der zusammen mit Markus Weber den Premierenzug fuhr und zwischendurch tausend Fragen beantworten musste. »Alles ganz toll gelaufen, und was die Leute so alles wissen wollten.« Die meistgestellte Frage natürlich: Warum ist die Linie so kurz. Aber manchem fiel auch auf, dass es im Bahnhof Brandenburger Tor relativ kühl ist, kühler als in den anderen beiden Stationen. Ursache ist der Eismantel, der immer noch um die Station herumliegt und nur langsam schmilzt. Das Tauwasser hätte fast die Eröffnung der U-Bahn gefährdet, weil es die Farbe von der Decke löste. Alles musste abgespachtelt und erneuert werden. Jetzt entziehen große Lüfter die Feuchtigkeit.

Wenn die Linie ab kommenden Jahr zum Alex verlängert wird, könnte sich das Ganze am Bahnhof Museumsinsel wiederholen. Auch beim Bau dieser Station wird ein Teil der Erde ringsherum vereist.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal