Frust in den Boden gestampft

Die Tanzkompanie Nightmare Before Valentine in der Brotfabrik

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.
Frust in den Boden gestampft

Ihr Anliegen ist, zeitgenössischen Tanz aus dem Elitären herauszuholen und damit einem breiteren Publikum anzubieten. Sie tanzen nicht nur auf herkömmlichen Bühnen, sondern auch an anderen öffentlichen Orten, in Cafés, Kneipen, auf Events und bei Unternehmensveranstaltungen. Wer ihre Kunst sehen will, der bekommt sie. So schließt sich der Kreis. Die frei arbeitende Tanzkompanie Nightmare Before Valentine zeigt Konsequenz. Die drei ausgebildeten Bühnentänzerinnen Andriana Seecker, Christin Maaß und Birgitt Bodingbauer bestehen ohne weiteres vor Fachpublikum. Sie wollen jedoch auch Zuschauer erreichen, die mit modernem Tanztheater nicht vertraut sind. Der Anspruch auf ein komplettes Verstehen des Dargestellten soll zurücktreten, um etwas Unbekanntes zu wecken, ein Gefühl, ein Erlebnis, jenseits der gewohnten Aufnahmekanäle. Es zählen Körpersprache und Ästhetik. Auch der Stücketitel tritt als inhaltlicher Wegweiser zurück.

Dabei ist ihr Ausdruck in ihrem knapp einstündigen Stück »Früchte im Koma« für drei Frauen, drei Tiere, Obst und Gemüse, das die Tanzkompanie gerade in der Brotfabrik in Weißensee zeigte, keineswegs Beifall erheischend. Aufgebracht wirkend klatschen die Tänzerinnen den Zuschauern eiskalte Salatblätter vor die Füße. Ach, du lieber Obst- und Gemüsehimmel! Was haben wir wieder angerichtet? Einen Pfirsich achtlos verfaulen lassen, eine Tomate zertreten, dem Kohlrabi die Blätter abgerissen oder Schlimmeres? Der Alltag ist wie er ist. Irgendwas hat man immer auf dem Kerbholz.

Und das zeigt auch das Stück. Einsamkeit, Auseinandersetzung, Annäherungs- und Ausbruchversuche wechseln einander ab. Man zeigt sich frech, ist einander nicht grün, nimmt sich zu viel heraus, verletzt die Grenzen anderer, spielt sich auf und zieht sich scheinbar ahnungslos zurück. War irgendwas? Bei diesen Rückzügen kommen die drei Stofftiere Edi, Willi und Carl ins Spiel. Die sind immer für einen da und widersprechen nicht in den Kuschelecken.

Bilder entstehen zu Musik von MGMT, den Andrew Sisters, Sicker DJ, Tom Waits, TEX, Ane Brun und anderen – und zerfallen schnell. »Bei mir bist du schön« wird wie zum Trost immer wieder angespielt. Die Bewegungen der Tänzerinnen sind dabei schnell und hart. Sie erzählen von der Kraft des Zorns, mehr jedoch von hilfloser Wut. Da prallen die Frauen gegen eine schwarze Wand, als hätte sie jemand geworfen und gleiten an ihr herunter. Schweiß bleibt haften. Man holt sich nur selbst die Beulen, ansonsten hinterlässt so ein Ausbruchsversuch keine Spuren, hält der rein wirkende Boden sein schwarz-weißes Fliesenmuster dagegen. Ein schönes Zeichen der Selbstironie. Gewagte Sprünge und Stürze ergänzen das Bild.

Dieser Tanz ist frisch und kraftvoll bis zum letzten Schritt. Er ist nicht sanft und doch voller Anmut. Ein gutes Gefühl bleibt zurück. Und etwas von dem kleinen Frust, den jeder so mit sich herumschleppt, scheint mit in den Boden gestampft.

»Früchte im Koma« der seit eineinhalb Jahren arbeitenden Tanzkompanie entstand für das Kulturfestival »48 Stunden Neukölln«, hatte in der Brotfabrik seinen Bühnenstart und wurde nun neu aufgeführt. Im Oktober zeigen die Tänzerinnen hier ihre Premiere »Alien Island«.

Weitere Termine der Tanzkompanie unter www.myspace.com/nightmarebeforev

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal