Radschläge für die Bahn

  • Michael Cramer
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Autor ist Mitglied des Europäischen Parlaments (Grüne) und Sprecher seiner Fraktion im Ausschuss für Verkehr und Fremdenverkehr.
Der Autor ist Mitglied des Europäischen Parlaments (Grüne) und Sprecher seiner Fraktion im Ausschuss für Verkehr und Fremdenverkehr.

Wer wochenlang das Chaos mit der Berliner S-Bahn erleben durfte, will sich am liebsten auf die eigene Muskelkraft und das selbst gewartete Zweirad verlassen. Mobilität klappt mit dem Fahrrad häufig besser, gerade auch im Vergleich zum Auto: 90 Prozent aller Pkw-Fahrten in den Städten sind kürzer als sechs Kilometer, Strecken also, die mit dem Rad meist viel schneller bewältigt werden.

Wer radelt, ist unabhängig. Bei längeren Strecken hängt es von den Rahmenbedingungen ab, ob und wie stark das Fahrrad genutzt wird. Das Europäische Parlament hat das längst erkannt und große Schritte vorwärts gemacht. Die EuroVeloRouten wurden in die Transeuropäischen Verkehrsnetze aufgenommen – man stelle sich vor, die deutschen Fernradwege wären Bestandteil des Bundesverkehrswegeplans – und bei den Europäischen Fahrgastrechten, die seit dem 1. August auch in Deutschland gelten, wird die Möglichkeit zur Mitnahme von Fahrrädern auch in Hochgeschwindigkeitszügen vorgeschrieben. Mittlerweile ist das im Eurostar zwischen Paris und London möglich, im neuen Thalys zwischen Köln, Brüssel und Paris (die alten Thalys-Züge werden nachgerüstet) und auch im TGV zwischen Stuttgart und Paris. Nur in Deutschland wehrt sich die DB AG mit Händen und Füßen. Noch immer ist das Fahrrad im ICE unerwünscht.

Widerstand gab es vor allem vom alten Bahnchef Mehdorn. Trotzdem stimmte das Europäische Parlament – übrigens ebenso wie Bundestag und Bundesrat – dem Grünen-Antrag mit großer Mehrheit zu; wenn auch mit der Einschränkung, die Rad-Mitnahme nur dann einführen zu müssen, »wenn es leicht zu handhaben ist und den Betriebsablauf nicht stört«. Der neue Bahnchef Grube verfolgt die falsche Spur seines Vorgängers und will sich mit der Umsetzung des Europäischen Rechts bis 2020 Zeit lassen. Angesichts der Beispiele aus den Nachbarstaaten muss man fast schon von einem Armutszeugnis deutscher Ingenieurskunst sprechen, sollte hier nicht möglich sein, was in Amsterdam, Paris und London zum Alltag gehört.

Die treuesten Fahrgäste wollen mit der Fahrradmitnahme im ICE nicht bis 2020 warten. Der Fahrradtourismus boomt seit mehr als 20 Jahren mit zweistelligen Zuwachsraten pro Jahr. In den Urlaubsländern Schweiz und Österreich kommen mehr als 50 Prozent aller Fahrradtouristen aus Deutschland. Und auch bei uns werden immer mehr fahrradfreundliche Routen ausgewiesen. Trotz alledem hat sich die Situation für die Fahrradtouristen bei der DB AG durch die ersatzlose Streichung der InterRegio-Züge und vieler IC-Züge dramatisch verschlechtert. Wer heute sein eigenes Fahrrad in der Bahn mitnehmen möchte, kann sein Urlaubsziel meist nur mit mehrfachem Umsteigen und großen Zeitverzögerungen erreichen. Zudem ist eine Reservierung meist nur in Ausnahmefällen möglich.

Die Schweizer Bahn hat aus der umweltfreundlichen Kombination von Bahn und Rad längst ein Geschäftsmodell gemacht und vermarktet sie offensiv. Der Raum fürs Fahrrad im Sommer wird im Winter für die Skiausrüstung genutzt. Angesichts der Tatsache, dass die ICE-Züge im Durchschnitt ohnehin nur zu weniger als 50 Prozent ausgelastet sind, ist die Weigerung der DB AG nur noch ideologisch zu begreifen. Will Rüdiger Grube keine billige Kopie seines Vorgängers sein, würde er sagen: Yes, we can – und zwar sofort!

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