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Aus der Sicht der Opfer

TV-Tipp: »Der Überfall«

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Weltkriegsdokumentationen gibt es viele: alte oder neue, parteiische und objektive, auf Papier, Zelluloid oder Video. Gerade hierzulande wurde in den vergangenen Jahren fürwahr ausgiebig gedacht an die Jahre 1939-45. Allein – die Perspektive variiert nur selten. Es ist zumeist die deutsche. Knut Weinrichs NDR-Dokumentation »Der Überfall« erinnert heute, kurz vor dem 70. Jahrestag des Beginns des 2. Weltkriegs, konsequent aus Sicht der Überfallenen. Endlich.

»Der Überfall« behandelt den Polenfeldzug, der am 1. September vor 70 Jahren seinen Anfang nahm, konsequent aus dem Blickwinkel der Überfallenen. Für Kollegen wie Guido Knopp, Hans-Christoph Blumenberg oder Christian Frey herrscht dagegen stets das Postulat heimischer Sichtweisen. Oft, damit die Deutschen – wie Peter Kümmel mal in der »Zeit« schrieb – sich mit ihren Großvätern versöhnen können.

Da wirkt schon Weinrichs Untertitel Wunder. »Deutschlands Krieg gegen Polen« heißt es da. Nicht Hitlers also, sondern der seiner Untertanen, die dessen Beginn so bejubelt haben, auch wenn die Knopps dieser Welt das nicht gern hören. Doch das spielt in der gelungenen Arbeit des gelernten NDR-Autors, der schon mehrfach über deutsche Taten im zweiten Weltkrieg gefilmt hat, eine untergeordnete Rolle. Es sei denn als Täter.

Die dürfen in der chronologischen Dramaturgie vom Überfall über die rasche Besetzung bis zur gezielten Vernichtung polnischer Juden, Schuld eingestehen, ohne am Pranger zu stehen. Ein Unding in der Geschichtsschreibung Knoppscher Prägung. Der Bremer Landser Werner Mork etwa redet ganz freimütig von seiner Begeisterung für den Einmarsch ins verhasste Nachbarland und dem Stolz, ihn nach 36 Tagen gewonnen zu haben. Ein ganz normaler Deutscher, kein SS-Scherge, nicht in leitender Funktion, eher Mitläufer als Hitlers Helfer, darf für das Tabu populärer TV-Historisierung des Nationalsozialismus stehen: Eine Kollektivschuld.

Doch darum geht es dem Autor Weinrich nicht. Der 42-Jährige beschränkt sich auf das Schicksal Polens, das – im Laufe der Jahrhunderte ständig unter Feinden aufgeteilt – diesmal selbst auf seine Freunde, Frankreich und England, nicht zählen konnte. Es ist also eher die Geschichte eines Staates im Schatten des Kriegs, als bloß Kriegsgeschichte. Auch deshalb lässt Weinrich seine Bewohner reden: des Dorfes Torzeniec im Westen, das als erstes dem Vernichtungsstreben der Wehrmacht zum Opfer fiel. Von Danzig, dessen »volksdeutsche« Mehrheit dem Einmarsch entgegengefiebert hatte, schließlich aus Warschau, das als letzte Bastion zu Klump gebombt wurde. Oder Bydgoszcz, Schauplatz des »Bromberger Blutsonntags«, vermeintlich eine polnische Racheaktion an deutschen Bewohnern. Auch hier stellt Weinrich dem Entschuldigungsversuch des deutschen Zeitzeugen einen polnischen entgegen, bis sich die neutrale Position auf die Opferseite schlägt und damit einen anderen Täter entlarvt: Den Krieg als solchen.

So ist der »Der Überfall« mehr als eine weitere Dokumentation über den 2. Weltkrieg – es ist eine der besten. Schwimmt sie doch gegen den Strom herrschender Geschichtsschreibung im Fernsehen. Das lohnt sich.

»Der Überfall – Deutschlands Krieg gegen Polen« ARD, 22.45 Uhr.

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