Permanenter Ausnahmezustand

Der Bürgerrechtler Rolf Gössner über einen anderen, umfassenden Begriff von Sicherheit

  • Lesedauer: 3 Min.
Der Bremer Rechtsanwalt und Publizist ist Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte.
Der Bremer Rechtsanwalt und Publizist ist Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte.

»Angst ist das Schmieröl der Staatstyrannei« – es ist diese Erkenntnis, die uns antreibt, hier und heute zu demonstrieren: gegen politische Angstmacherei, gegen Überwachungswahn und den Angriff auf die Bürgerrechte.

Ein ausufernder Antiterrorkampf bescherte uns eine dramatische Einschränkung der Freiheitsrechte. Eine wahre Flut sogenannter Antiterrorgesetze hat die Kontrolldichte in Staat und Gesellschaft beträchtlich erhöht – angeblich im Namen der Sicherheit, doch mit Sicherheit auf Kosten der Freiheit. Tatsächlich kommt das Bundesverfassungsgericht kaum noch nach, etliche dieser maßlosen Sicherheitsgesetze für grundrechtswidrig zu erklären. Tatsächlich dokumentiert die hohe Anzahl verfassungswidriger Gesetze ein katastrophales Verfassungsbewusstsein in der politischen Klasse – strenggenommen: ein Fall für den Verfassungsschutz.

Wir erleben auch einen besorgniserregenden Umbau des Staates und eine Entfesselung staatlicher Gewalten. Wir erleben eine Militarisierung der inneren Sicherheit, in deren Mittelpunkt der Bundeswehreinsatz im Innern steht. Wir erleben eine zunehmende Vernetzung und Verzahnung von Polizei und Geheimdiensten – zuletzt mit der neuen Abhörzentrale in Köln und mit dem Umbau des Bundeskriminalamtes zu einem zentralen deutschen FBI mit geheimpolizeilichen Befugnissen zur präventiven Vorfeldausforschung.

So werden elementare Lehren aus der deutschen Geschichte entsorgt – mit der Folge einer gefährlichen Machtkonzentration der Sicherheitsorgane. So droht der demokratische Rechtsstaat zu einem präventiv-autoritären Sicherheitsstaat zu werden – einem Staat im permanenten Ausnahmezustand, in dem der Mensch zum Sicherheitsrisiko mutiert, in dem Rechtssicherheit und Vertrauen der Bürger verloren gehen, Angst und Entsolidarisierung gedeihen.

Und spätestens hier stellt sich die Frage: Soll der Staat mit diesem Umbau und der Anhäufung von Kontrollinstrumenten auf Vorrat womöglich nicht nur vor Gewaltkriminalität und Terror geschützt werden? Wappnet er sich in Wirklichkeit – gerade in Zeiten verschärfter ökonomisch-sozialer Krisen – vorsorglich auch gegen mögliche soziale Unruhen und Aufstände? Tatsächlich scheint der präventive Sicherheitsstaat in dem Maße aufgerüstet zu werden, in dem der Sozialstaat abgetakelt wird.

Diesem Zerstörungsprozess und der zugrunde liegenden Sicherheitsideologie müssen Bürgerrechtsgruppen, Gewerkschaften und politisch-soziale Bewegungen, müssen wir alle energischer entgegentreten. Wir müssen dringend das verengte und angstbesetzte Sicherheitsdenken aufbrechen. Wir brauchen einen anderen, einen sozialen, umwelt- und friedenspolitischen Sicherheitsbegriff – einen Begriff von Sicherheit, der auch an Ursachen und Bedingungen von Terror, Gewalt und Kriminalität ansetzt, von denen kaum noch die Rede ist. Denn die Übel dieser Gesellschaft und der Welt lassen sich jedenfalls nicht mit Vorratsdatenspeicherung, Internet-Sperren und Antiterrorgesetzen bekämpfen.

Wir fordern schon heute von der neuen Bundesregierung eine Generalrevision aller »Notstandsgesetze für den Alltag«. Wir fordern auch ein striktes Exportverbot für deutsche Überwachungstechnologien an diktatorische Staaten (wie den Iran). Und wir wollen einen transparenten demokratischen Staat – und keine gläsernen Bürger unter Generalverdacht!

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