Marlow trifft Kurtz

Conrad im DT

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.
Marlow trifft Kurtz

Alles Reisen gerät bei Joseph Conrad in die Isolation. Kühle Logistik, die weit zielender Ortsveränderung dienen soll, führt in lähmend fiebrige Selbstfesselung. Der Mensch zieht aus, um im Fremden jammernd einzugehen. Fahrten ins gewinnbringende Geheimnis der Kontinente enden im Sinnverlust. Die Anker werden gelichtet, um im Dunkel jeden Halt zu verlieren. Die entfesselte Kraft, die ins Abenteuer treibt, hinterlässt Getriebene, die sich am Ende wünschen, nie aufgebrochen zu sein. Als schlüge das Meer, das man so eroberungsfähig befährt, Wellen im Bewusstsein, die den Schädel sprengen.

Joseph Conrad ist der Romancier der Schattenregionen menschlicher Existenz, die just dort dämmern und lauern, wo Freiheitsenergien die Segel ins vermeintlich Helle setzen. Jeder Vorstoß in die schier unermessliche äußere Welt ist nur ein Schritt weiter in die Zone schrecklicher Wahrheiten – als sei Conrads Werk ein Vorläufer von Tarkowskis Film »Stalker«: eine Reise ins Innere, wo der menschliche Geist seine unglückliche Liebe zum Wahnwitz gesteht.

In der Erzählung »Herz der Finsternis« wird, was diese Liebe zeugt, zum großen, schrecklichen Wort, ein Flüstern letzter Gewissheit, was das denn sein, wenn man den angeblich kultivierten Menschen am Werke sehe: »Das Grauen! Das Grauen!«

In den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin hat Andreas Kriegenburg Conrads Prosa inszeniert, in einer szenischen Fassung und Neuübersetzung John von Düffels, Bühne und Kostüme: Johanna Pfau. Man schaut vorwiegend in Schauspielergesichter, die man jüngst noch in Khuons Thalia-Ensemble in Hamburg sah. Wechsel-Stimmung in der Schumann-

Straße.

Kriegenburg ist – vor allem im Beginn seiner Aufführungen – ein Expressionist. Oft wirken seine Gestalten wie letztverbliebene Flüchtlinge aus Stummfilmen; slapstickend zeitversetzte Lebenspartikel, die gern große Augen hätten fürs Weltbestaunen, aber denen doch nur ein verwalterisch eifriges Hin- und Herhuschen oder verkrümmtes Entlangschleichen gelingt. Duckmäusermenschlein. Hier als Seemänner?!

Kratzen und Klacken. Einer im schwarzen Anzug, so ein beflissen käferhafter Mensch, malt an der schmutzig-grauen Wand die Wasserflecke nach? Finsternis. Licht. Jetzt sind es schon zwei Männlein. Wieder Finsternis, wieder Licht, wieder Finsternis, bis es fünf sind. Schwarzgekleidete, aber Weiße. Zu hören jetzt: ihr Wortfauchen, Worthauchen; leise Selbstermunterungen, die schon die Dämonie ahnen lassen: Strom ... Afrika ... Kongo ... Eine mehrpersonenfache Emsigkeit zeichnet Weltkartenpläne in den Dreck einer Stubenwand und flüstert sich Mut in die Nerven.

Die Fünf sind Einer: Kapitän Marlow, aufgespalten. Er reist ins Dschungelinnere Afrikas, trifft im Elfenbeinmonopolisten Kurtz auf die fürchterliche Glorie imperialer Vernichtungskultur. Den gibt Markwart Müller-Elmau aufreizend konturenlos, Gert-Fröbe-haft im Anriss, ansonsten aber so, als könnte man voraussetzen, dass alle Zuschauer Marlon Brando in Coppolas »Apocalypse Now« mitdenken, mitsehen. Stimmt. Kriegenburg bleibt ehrlich: Kino verzaubert, Theater pappt.

Die herb-schöne Natali Seelig ist gleichsam der dominante, der »Haupt«-Marlow, sie ist es mit klagend-jagender, vokalkräftiger Stimme, aus deren Tiefen mehr und mehr die Wahrheit hochschlägt: Jeder Irrsinn, dem wir begegnen, hat seine Filiale in uns, jede Gier und jedes Böse, und es trägt gefälschte Pässe, das Böse, da steht als Name Idee oder Ethos oder Ehre oder Vernunft. Daniel Hoevels gibt körperlich brillant einen Harlekin in Kurtz' Regime; Gebrochenheit, Hassliebe-Schizophrenie als zuckender Tanz.

Der Abend hat etwas von bewusstem Fragment. Viel Chor vom fünffachen Marlow. Und dies Chorische betont eine Aufgebrachtheit und Gehetztheit des Reiseberichts, die sich nicht in absoluter Präzision der Sprechenden auflösen will. Das ist als Ansinnen begreiflich, hat trotzdem störende Beitöne. Vielleicht, weil Conrads Sprachkraft aufleuchten will, aber nicht darf.

Im Grunde ist die Aufführung »nur« Bericht. Der wird bebildert, und Kriegenburg ist ein Fantastiker der Illumination, lässt mit Klettergerüstzeug, Bambusklopfgeräuschen, verhaltenem Spiel mit Ketten, mit Lehm als Pomade oder Naturschmutz das Eintauchen in die Eingeborenenwelt, ins Grausige und Schleierhafte und Hitzige lebendig werden, nein, nur halb lebendig werden, denn die gejapste, gebannte, geschrieene, erschütterte Sprache bedarf der Illustration weniger, als der Aufwand übt.

Erschütternd: riesige Menschenpuppen, die herabgelassen werden, schwarze Sklaven, Skelette fast, überlange Arme und Beine. Die Kreatur blickt, so wissend blickt kein Gott, so blickt nur der arme Mensch. Und Kriegenburgs Theater wagt, wie schon so oft und nah an Kleists Marionetten-Weisheit, höchste Künstlichkeit für tiefste Anrührung.

Nächste Vorstellung: 22. 9.

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