Geisterfahrt

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 2 Min.

Was haben Pink Floyd, die DDR, der Jugoslawienkrieg und »Herr der Ringe« miteinander zu tun? Die britische Kultband hatte ihren letzten wichtigen Auftritt an der bereits weitgehend nieder gehämmerten Berliner Mauer. Der Jugoslawienkrieg ist auch ein spätes Produkt des Mauerfalls. Und irgendwie schafft es die Theatergruppe 400asa Sektion Nord tatsächlich, eine Verbindung zwischen diesen drei Ereignissen und der Film-Fantasy-Welt herzustellen. Jedenfalls begegnet man bei einem nächtlichen Busausflug in eine der Berliner Brachen Figuren aus dem »Herrn der Ringe«.

»Der Sumpf. Europa Stunde Null« ist ein aufwendiges und spezielles Theaterereignis, das im Hof der Sophiensaele beginnt. Die Bühne ist das nächtliche Berlin. Weil dies eine ziemlich große Bühne ist, wird der Zuschauer per Bus fortbewegt. Stopps werden u.a. an einer verloren wirkenden Buswendeschleife, in einem Autohaus, auf der eingangs erwähnten Brache sowie auf dem Areal eines Open-Air-Konzerts eingelegt.

Das Drama entwickelt sich vornehmlich im Kopf des Betrachters, in freier Assoziation der an den Stoppstellen gezeigten Episoden mit den Ereignissen im Bus sowie den Zufallsbegegnungen mit dem nächtlichen Berlin. Diese Sensibilisierung der Wahrnehmung ist eine Qualität des Abends. Gleichzeitig liegt hier auch seine Schwäche. Denn die Beobachtung eines Lieferwagens – dessen Fahrer offensichtlich von dem Auftauchen des vom Theater okkupierten BVB-Busses irritiert wurde, deshalb nervös hin und her fuhr und schließlich einem wie aus dem Nichts auftauchenden Pkw folgte – war der einprägsamste Moment. Wurde man unfreiwilliger Zeuge einer Schmuggel- und Betrugsaktion? Sollte man eingreifen? Die Polizei anrufen? Auf das Umladen der Waren warten und gegebenenfalls seinen Tribut einfordern? Oder war dies auch nur inszeniert?

Eindeutig als theatrale Ereignisse auszumachen waren die Busreise zum gigantomanischen Pink-Floyd-Konzert vom Sommer 1990, das nächtliche Herumgeistern in einem Autohaus von Toyota und schließlich die fragmentarische Wiederaufführung einer Musikshow. Das von dem ungemein stoischen und massigen Musiker Paolo Fusi ganz allein nachgestellte »The Wall«-Konzert zum Abschluss war denn auch durchaus erlösend.

»Der Sumpf. Europa Stunde Null« ist ein Experimentaltheater, das ohne den Umweg über dramatische Verdichtung auf die Synapsen einwirkt. Die assoziative Struktur ist interessant. Die einzelnen Bausteine müssten allerdings sauberer gefertigt sein, damit der Geist tatsächlich abheben kann.

Sophiensaele, 2., 3.10., 19.30 Uhr

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