Der Fernsehturm ist Spitze
Berlins Wahrzeichen und Stadtkrone feiert am Tag der Einheit seinen 40.
»Was, das hat der Osten gebaut?!« Solche erstaunten Reaktionen hört Christine Herting noch oft, wenn sie etwa Reisegruppen aus Italien, Spanien oder den Niederlanden begrüßt. Dann sagt sie einfach »Ja« und ist noch ein bisschen stolzer auf das Bauwerk, in dem sie seit 35 Jahren arbeitet, zunächst als Kellnerin, jetzt als Chefin vom Dienst. Dass sie damals den Mut aufbrachte, sich im Fernsehturm zu bewerben, kann sie noch heute kaum verstehen. »Ich habe ihn ja jeden Tag wachsen sehen und weiß noch, welchen Respekt ich vor dem Riesending hatte. Zu meiner Überraschung hat man mich genommen. Und ich habe keinen Tag bereut. Von welchem Arbeitsplatz kann man solch eine Aussicht auf die Stadt genießen?«
Dabei war der Standort mitten in der Stadt eher eine Notlösung. Ursprünglich sollte der Turm schon Anfang der 50er Jahre in den Müggelbergen entstehen. Nachdem bereits ein paar Millionen Mark in den Sand gesetzt waren, fiel endlich auf, dass gerade die Einflugschneise des Flughafens Schönefeld verbaut wird. Das Projekt wurde gestoppt, der Fernsehturmbauplatz an den Volkspark Friedrichshain verlegt. Allerdings sollte dort ein einfacher Zweckbau errichtet werden, ohne architektonischen Anspruch.
Anfang der 60er Jahre war auch noch ein anderes Projekt gekippt worden: Das auf dem heutigen Marx-Engels-Forum als Stadt- und Staatskrone geplante 150 Meter hohe Regierungshochhaus als möglicher Sitz einer deutschen Konföderationsregierung. Die politische Lage hatte sich inzwischen mit dem Mauerbau gründlich gewandelt, und in Moskau war das Vorbild für die DDR-Machtdominante einem Flachbau gewichen, dem Kremlpalast. Zu finanzieren wäre das Mammutprojekt für die DDR ohnehin kaum gewesen.
In dieser Situation forderte Ulbricht eine neue herausragende Idee für das Ostberliner Stadtzentrum, die bis zum 20. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1969 zu verwirklichen sei. So kam der Fernsehturm ins Spiel. Er schien billiger zu sein als das Hochhaus, und mit ihm konnte man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Ulbricht bekam seine sozialistische Höhendominante, und die fernsehtechnische Unterlegenheit gegenüber der BRD verringerte sich. Denn in den 60er Jahren gab es Gebiete innerhalb der DDR, die vom eigenen Fernsehen noch nicht erreicht wurden, von den »Hetzsendern« dagegen sehr wohl.
Die DDR-Bauakademie stellte umfangreiche Untersuchungen an, um den genauen Standort zu finden. Der Turm sollte im Blickpunkt aller Magistralen sowohl von Ost- als auch von Westberlin liegen, ohne die Harmonie zu den umliegenden historischen Bauten wie Dom, Zeughaus oder Marienkirche zu zerstören. Gegen den vorgeschlagenen Standort neben dem Bahnhof Alexanderplatz wehrte sich insbesondere die SED-Bezirksleitung, die stattdessen für die Fischerinsel plädierte. Am 22. September 1964 gab's im SED-Politbüro den entscheidenden Fingerzeig: »Nu, Genossen, da sieht man's ganz genau: Da gehört er hin!« soll Ulbricht gesagt haben.
Für das erwünschte Renommierstück musste nun eine unverwechselbare Form gefunden werden. Der für den Friedrichshain geplante schlichte Zweckbau war dafür gänzlich ungeeignet, sollte er doch, wie die meisten Fernsehtürme dieser Zeit, lediglich ein kegelförmiges Gebilde als Turmkopf erhalten, in dem zudem ein Café nicht vorgesehen war. Die Architekten und Ingenieure fanden eine völlig neue Lösung – die Kugel. Das hatte nicht nur ästhetische, sondern auch ganz praktische Gründe. Die Kugelform bot bei kleinster Oberfläche das größte Volumen, was auch für die Statik in dieser Höhe bedeutsam ist.
So eindrucksvoll diese Innovation, so umstritten ist bis heute, wem der Ruhm dafür gebührt. Meist wird Hermann Henselmann genannt, der sich als Ostberliner Chefarchitekt 1958/59 am Internationalen Wettbewerb zur Gestaltung des Ostberliner Stadtzentrums mit einem »Turm der Signale« beteiligt hatte. Die 320 Meter hohe Stahlnadel mit einem Kugelkopf verstand Henselmann als Sputniksymbol. Bei der Parteiführung, die damals noch auf das Regierungshochhaus setzte, fiel dieser Vorschlag durch. Um die Autorenschaft bewarb sich nach 1990 auch Gerhard Kosel, Präsident der DDR-Bauakademie, dem 1964 die Turm-Bauleitung übertragen worden war. Kosel reklamierte für sich, die Kugel in die richtige Relation zum Schaft gebracht zu haben. Weil die Kosten überschritten wurden – mit 200 Millionen Mark stiegen sie auf das Sechsfache – wurde er von seiner Aufgabe entbunden. Die entscheidende Projektarbeit lieferten wohl die Architekten Günter Franke für den Schaft und Fritz Dieter für die Kugel. Letztlich fiel die Kugel dann deutlich größer aus als die Varianten Henselmanns und Kosels. Doch auch Dieter bekam noch eine Menge Ärger, sein Name wurde plötzlich nicht mehr publiziert. Und das hatte einen ebenso lächerlichen wie phänomenalen Grund: Bei entsprechendem Sonnenstand zeigt sich auf der glänzenden Metallaußenhaut der Kugel eine Reflexion in Gestalt eines Kreuzes, weshalb die Westpresse in Anspielung auf den obersten Bauherrn das Bauwerk als »Sankt Walter« verspottete. Ulbricht soll daraufhin sogar an Demontage gedacht haben.
Doch der Bau wurde durchgezogen, ab August 1965 wurde der Turm, der mit 26 000 Tonnen drei Mal so schwer ist wie der Eiffelturm, in nur 53 Monaten errichtet. Allein die Kugel mit ihren sieben Etagen und 32 Meter Durchmesser wiegt 4800 Tonnen. Ihre Montage war eine technische Meisterleistung. Sie wurde am Boden vormontiert, wieder zerlegt und per Hubschrauber nach oben gehievt und so eine absolute Passgenauigkeit erreicht. Die Arbeiter waren sogar so schnell, dass der Turm nicht am 7. Oktober, sondern schon am 3. Oktober eingeweiht werden konnte. Ironie der Geschichte, dass das Symbol des Sozialismus jetzt seine Jubiläen am Tag der Einheit feiert.
Doch ist er in den vergangenen 20 Jahren längst auch zu einem Symbol der Einheit und einem Wahrzeichen der ganzen Stadt geworden. An Abriss denkt keiner mehr, dafür wurde er in die Denkmalliste Berlins aufgenommen, und die Telekom als Eigentümer investierte 37 Millionen Euro in Erhalt und Modernisierung. Und ist richtig stolz auf diesen laut Rudolf Pospischil, Chef der Telekomtochter Deutsche Funkturm, »höchsten und architektonisch eindrucksvollsten Fernsehturm in Deutschland«, der dank einer neuen Antennenspitze sogar noch um drei auf 368 Meter gewachsen ist.
Seine Anziehungskraft ist ungebrochen. Jährlich fahren etwa 1,2 Millionen Besucher zur Aussichtsplattform in 203 Meter Höhe oder ins Restaurant vier Meter darüber. »Wir gehören zum Pflichtprogramm für Touristen«, sagt Christine Herting, die sich im Nebenberuf wie alle anderen rund 100 Beschäftigten ein bischen als Stadtbilderklärer versteht. »Da hat sich in den 40 Jahren nicht viel geändert, nur dass wir jetzt im anderen Stadtteil besser Bescheid wissen und auf die Frage, wo denn der Kudamm beginnt, nicht mehr antworten müssen: ›Dort, neben dem Haus mit der Schachbrettfassade, gleich rechts‹«. Morgen zur Feier des Tages wird im Fernsehturm die Zeit zurückgedreht: Es gibt Soljanka, Ragout fin – wie vor 40 Jahren.
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