Behindertenfreundliches Berlin?

Jürgen Schneider wird neuer Landesbeauftragter / Der Soziologe tritt als Nachfolger von Martin Marquard das Amt des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung an

  • Lesedauer: 3 Min.
Fragwürdig: Behindertenfreundliches Berlin?

ND: Sie sind gerade vom Senat zum neuen Landesbeauftragten für Behinderte berufen worden. Im Vorfeld gab es einige Aufregungen um Ihre Person. Der Berliner Behindertenverband zum Beispiel soll kritisiert haben, dass Sie nur in der Verwaltung gearbeitet haben, das sei dem Posten nicht dienlich.
Schneider: Ich bin erstaunt, dass es diese Vorwürfe gegeben hat. Es trifft nicht zu, dass ich mein ganzes Berufsleben in der Verwaltung verbracht habe. Ich habe eine Lehre bei der Bahn angefangen, Soziologie studiert, promoviert und in meiner Dissertation 1981 ein Kapitel zur Schwerbehindertenbeschäftigung geschrieben.

In welcher Funktion waren Sie bisher in der Senatsverwaltung?
1983 habe ich in der damaligen Senatsverwaltung Soziales angefangen und zunächst ein europäisches Behindertenprojekt betreut. Der Arbeitstitel für Berlin war »Spandau für Behinderte«.

Wie wird man Behindertenbeauftragter?
Ich wurde vom Landesbeirat vorgeschlagen.

1999 wurde das Landesgleichberechtigungsgesetz für Behinderte beschlossen. Welche Standards wurden da festgeschrieben?
Da ging es vor allem um Barrierefreiheit und um Baurecht. Das ist ja Landesrecht. Wir mussten dabei immer wieder klarmachen: Was ist Behinderung? Behindert ist ja nicht gleich behindert.

Ein Beispiel?
Früher hat man mit Behinderungen meist den körperbehinderten Menschen identifiziert. Der Rollstuhlbenutzer möchte natürlich Bordsteinkanten beseitigt haben. Auf der anderen Seite haben wir blinde Menschen, die sich mit einem Stock bewegen. Die sind auf tastbare Merkmale angewiesen. Dann haben wir überlegt: Wie sieht eine mit den Betroffenen abgestimmte Kreuzung aus? Ein Beispiel dafür war das Kantstraßen-Projekt. Die Bordsteine wurden auf drei Zentimeter abgesenkt und mit Rillenplatten kombiniert.

Wie behindertenfreundlich ist Berlin im Vergleich zu anderen Großstädten?
Wenn ich sage, Berlin ist schon ganz toll behindertengerecht, dann würde man vielleicht erwidern: Aha, die Verwaltung will natürlich, dass ihre Errungenschaften auch entsprechend gewürdigt werden. Ich habe immer betont, die Verwaltung allein kann das nicht und die Behindertenvertreter und ihre Verbände allein können das auch nicht. Wir haben die Einführung der Niederflurbusse vorangetrieben. Ich habe damals meine Kompetenzen überschritten und mit Herstellern verhandelt, weil vom öffentlichen Verkehrsträger in Berlin behauptet wurde, dass es keine behindertengerechten Busse gibt.

Es existierten generell keine?
Zu dem Zeitpunkt gab es nur auf Flughäfen Niederflurbusse von der Firma Neoplan. Ich habe dann mit dem Unternehmen darüber gesprochen, ob es nicht in der Lage ist, auch einen behindertengerechten Standardlinienbus zu bauen. Neoplan lieferte zehn Busse. So haben wir andere Hersteller gezwungen nachzuziehen. Wir haben durchgesetzt, dass nur noch behindertengerechte Busse angeschafft werden.

Wann werden Sie offiziell Ihr Amt antreten?
Herrn Marquards Amtsperiode dauert noch bis zum 21. Februar 2010. Danach beginne ich. Ab Dezember werde ich mit der Wahrnehmung der Aufgaben betraut.

Gespräch. Andreas Heinz

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