Clinton lässt in Moskau Charme spielen

USA und Russland bekräftigen ihren Willen zum Neustart in den Beziehungen

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Die russisch-amerikanische Zusammenarbeit habe ein qualitativ höheres Niveau erreicht, konstatierte Präsident Dmitri Medwedjew am Dienstagabend nach dem Treffen mit der US-amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton.

Der G20-Gipfel in Pittsburgh und die UN-Vollversammlung Ende September haben nach Medwedjews Ansicht gezeigt, dass Russland und die USA gewillt seien, auch für sehr komplizierte Fragen Antworten zu finden: Nahost, Iran, Nordkorea, Abrüstung und Rüstungskontrolle.

Vor der Begegnung auf Medwedjews Landsitz Barwicha bei Moskau hatte Hillary Clinton mehrere Stunden lang mit ihrem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow konferiert. Die anschließende Pressekonferenz zeigte, dass der von beiden Präsidenten bei Barack Obamas Moskau-Besuch Anfang Juli ausgehandelte Neustart der beiderseitigen Beziehungen bereits Tritt gefasst hat und die gemeinsamen Schnittmengen erheblich größer sind als in der Ära Bush. Außer in Sachen Georgien, wo beider Standpunkte einander nach wie vor entgegengesetzt sind, stellten Beobachter mehr oder minder einstimmig die zunehmende Nähe der Positionen fest.

Schärfere Sanktionen gegen Iran halten beide derzeit für kontraproduktiv. Vor ein paar Monaten hatte man in Washington noch laut über Bombenschläge gegen Teheran nachgedacht. Auch bei der Raketenabwehr setzen Washington wie Moskau statt auf Konfrontation auf Kooperation. Russische Medien meldeten, Clinton habe Medwedjew diesbezügliche Vorstellungen der USA in groben Zügen erläutert. Die Außenministerin bestätigte dies, wollte sich zu Details, über die Experten beider Seiten verhandeln sollen, jedoch noch nicht äußern.

Auch der Zeitplan für die Unterzeichnung eines Folgeabkommens für den am 5. Dezember auslaufenden START-I-Vertrag zur Begrenzung strategischer Offensivwaffen wird Hillary Clinton zufolge eingehalten. Obwohl sich die Verhandlungen der Experten in Genf extrem schwierig gestalten. Russische Beobachter rechnen mit etappenweisen Reduzierungen bei Langstreckenraketen und Kernsprengköpfen und glauben, dass beide Seiten sich letztendlich auf je 800 Gefechtsköpfe einigen werden. Clinton stellte zudem in Aussicht, dass russische Militärs US-amerikanische Atomobjekte besuchen dürfen.

Beide Präsidenten, erklärte Clinton in einem Exklusivinterview für Radio »Echo Moskwy«, vertrauten einander, die Chemie zwischen ihnen stimme. Mehr noch: Clinton bekannte sich indirekt sogar zum Konzept einer Welt mit mehreren Schwerkraftzentren, das Russland seit langem verficht. Auch will Washington künftig auf öffentliche Kritik an Russlands Sonderweg zur Demokratie verzichten. So jedenfalls interpretierten russische Kommentatoren eine Unterredung zwischen Obamas Russland-Berater Michael MacFaul und Wladislaw Surkow, dem Chefideologen des Kremls. Auch hier sei ein »radikaler Kurswechsel nötig«, zitierte die Zeitung »Kommersant« den US-Amerikaner.

Hillary Clintons Dementi dazu fiel matt aus. Dafür rügten Aktivisten der russischen Opposition, die sie zuvor in der Moskauer US-Botschaft empfangen hatte, Washingtons Pragmatismus in scharfen Worten. Ein Verzicht auf die Demokratisierung Russlands, befand Ludmila Alexejewa, die große alte Dame der russischen Dissidentenbewegung, gefährde die Stabilität weltweit, die Vergabe des Friedensnobelpreises an Obama sei daher womöglich voreilig gewesen.

Beobachter erklären Clintons Charmeoffensive vor allem damit, dass Washington sich Russlands Unterstützung beim Streit um Irans Atomprogramm sichern will. Fragezeichen stehen jedoch hinter Moskaus realem Einfluss auf Teheran. In Iran misstraut man dem nördlichen Nachbarn aufgrund historischer Erfahrungen gründlich.

Trotz allen Mediengetöses ist die von Iran ausgehende Bedrohung nicht die eigentliche Herausforderung für Obama. Mehr noch: Die USA brauchen Iran für das Krisenmanagement in Afghanistan. In noch größerem Maße sind sie dort jedoch auf Kooperation mit Russland angewiesen. Und geradezu natürliche Verbündete sind die USA und Russland, wenn es gilt, die Supermacht der Zukunft in Schach zu halten: China, das die USA nach Ende der Krise als führende Wirtschaftsmacht beerben könnte und sich für Russland zum Konkurrenten in Zentralasien mausert.

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