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Geflüchtete: »Behandelt wie im Gefängnis«
Bewohnerinnen einer Unterkunft im Harz beklagen in offenem Brief überzogene Kontrollen und Rassismus
Die Vorwürfe, die Bewohnerinnen einer Sammelunterkunft für Geflüchtete im südniedersächsischen Bad Sachsa gegen Behörden und Polizei erheben, sind heftig. »Wir werden behandelt, als wären wir im Gefängnis«, schreiben sie in einem offenen Brief. Die ehemalige Kurklinik des Harzstädtchens wird seit zwei Jahren als Notunterkunft der Landesaufnahmebehörde (LAB) Niedersachsen genutzt. Zurzeit sind dort 198 Geflüchtete aus sechs Ländern untergebracht, darunter 76 Kinder.
Die namentlich nicht genannten Verfasserinnen des Schreibens kritisieren massive Eingriffe in ihre Privatsphäre. Es sei »alarmierend, wenn die Polizei mitten in der Nacht, ohne zu klopfen oder uns Zeit zum Öffnen der Tür zu lassen, in unsere Zimmer kommt. Die Polizisten gehen manchmal einfach in unsere Zimmer, während wir unsere Kleidung wechseln.«
Wenn die Polizei eine Person, die abgeschoben werden soll, nicht finden könne, durchsuche sie alle Wohnräume in der Unterkunft. »Das ist für uns anstrengend und belastend, da wir alle unsere eigenen Sorgen und Probleme haben«, schreiben die Frauen.
Auf der dritten Etage der Unterkunft, wo ausschließlich Frauen wohnen, sei die Situation noch beunruhigender: »Jeden Tag weckt uns das Sicherheitspersonal um 22 Uhr, manchmal auch später, was unsere Schlafgewohnheiten erheblich stört.« Die männlichen Sicherheitsleute klopften sehr laut an den Türen, »und wenn man nicht rechtzeitig öffnet, betreten sie unsere Zimmer, auch wenn wir nackt sind«. Nach 22 Uhr dürften die Bewohner*innen ihre Zimmer nicht verlassen und nicht einmal Freundinnen in den Nachbarräumen besuchen – anderenfalls würden sie als abwesend vermerkt.
Weitere Beschwerden betreffen die Verpflegung. »Das Essen ist wirklich schlecht und abgestanden und oft vom Vortag«, heißt es in dem Brief. »Wenn wir nicht pünktlich kommen, finden wir kein Essen mehr.« Reste von Mahlzeiten dürften nicht mitgenommen werden, um sie später zu verzehren. »Wir müssen sie in den Mülleimern entsorgen, und die Sicherheitsleute sorgen dafür, dass wir das tun.«
Nach 22 Uhr dürften die Bewohnerinnen ihre Zimmer nicht verlassen und nicht einmal Freundinnen in den Nachbarräumen besuchen, schreiben die Frauen.
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Die allgemeine Atmosphäre in der Unterkunft schildern die Frauen als »sehr schlecht«. Die Sicherheitskräfte seien unfreundlich, Kinder dürften nicht spielen, stattdessen würden sie vom Personal angeschrien. »Wir beobachteten auch viele Vorfälle, bei denen Sicherheitsleute sich rassistisch gegenüber schwarzen Flüchtlingen verhielten«, schreiben sie weiter.
Auf nd-Anfrage nahm die Landesaufnahmebehörde zu den Vorwürfen Stellung. Bei Rückführungen seien die Maßnahmen Sache der Polizei und der Verwaltungsvollzugskräfte, sagte eine Sprecherin. »Im Rahmen dessen ist das Betreten von Zimmern oft notwendig und erfolgt innerhalb des gesetzlichen Handlungsspielraumes.«
Zudem sei die Unterkunft an besondere Brandschutzvorgaben gebunden. Der Sicherheitsdienst sei deshalb angewiesen, jeden Abend um 22 Uhr die Anwesenheit abzufragen, so die Sprecherin. Die Kontrollen dienten dem Schutz der Bewohner*innen. Dabei sei die Security angehalten, an der Zimmertür zu klopfen und einen angemessenen Zeitraum abzuwarten, bis sie geöffnet werde: »Erfolgt auf das Klopfen des Personals keine Reaktion, wird das Zimmer nicht geöffnet und betreten, es erfolgt stattdessen eine Abwesenheitsnotiz.« Im Frauentrakt würden die Kontrollen zudem nur in Begleitung von weiblichen Mitarbeiterinnen vorgenommen, erklärte die Sprecherin. Es gebe auch keine Verpflichtung, sich im Haus aufzuhalten, alle könnten sich frei bewegen.
Zur Kritik am Essen erklärt die LAB, dass in allen Unterkünften des Landes »die religiösen oder gesundheitlichen Bedürfnisse bei der Nahrungsmittelversorgung unserer Bewohnenden berücksichtigt werden«. Es gebe spezielle Nahrung für Babys und für Diabetespatienten, »insofern wir darüber Kenntnis haben«.
Dass es Spielverbote für Kinder gibt, bestreitet die LAB. Es gebe eine tägliche Kinderbetreuung, einen Spielplatz und eine große Rasenfläche. In dem Gebäude lauerten aber Gefahrenquellen, weshalb das Sicherheitspersonal darauf achte, dass Kinder nicht unbeaufsichtigt durch die Flure tobten. Die Hinweise erfolgten »freundlich, aber bestimmt«. Das von einem externen Dienstleister gestellte Sicherheitspersonal werde regelmäßig zu den Themen Deeskalation und interkultureller Kompetenz geschult. »Sollte es dennoch Vorfälle gegeben haben, bei denen Bewohnende aufgrund ihrer Herkunft benachteiligt oder übervorteilt wurden, sind uns diese leider nicht bekannt«, erklärt die Behörde.
Unterdessen hat der offene Brief Unterstützer der Flüchtlinge auf den Plan gerufen. Initiativen aus Göttingen riefen für Dienstagabend zu einer Demonstration in Bad Sachsa gegen die »gefängnisähnliche Situation« in der Unterkunft auf.
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