Große Schritte Richtung NATO
In Nordeuropa werden sicherheitspolitische Prämissen aufgegeben
In den Zeiten der Ost-West-Konfrontation war die Außenpolitik aller nordischen Staaten stets darum bemüht, die Region Nordeuropa so weit wie möglich aus den Zuspitzungen und militärstrategischen Spekulationen des Kalten Krieges herauszuhalten. Generell war deshalb die Außenpolitik dieser Länder in recht konsequentem Sinne von dem nationalen Interesse geleitet, jenen Zwängen zu entgehen, die sich aus einem offenen militärischen Konflikt zwischen Ost und West hätten ergeben können. Für Dänemark, Norwegen und Island hätte dies die Einlösung ihrer militärischen Bündnisverpflichtungen im Rahmen der NATO bedeutet, für Finnland die Erfüllung eines Vertrages von 1948, der unter Umständen die militärische Unterstützung der UdSSR vorsah. Wohl aber beteiligten sich alle nordischen Länder (mit Ausnahme Islands, das über keine eigenen Streitkräfte verfügt) an weltweiten Einsätzen mit UN-Mandat.
Zwei Jahrzehnte nach Ende des Kalten Krieges zeichnet sich in Nordeuropa die Erosion eines bisherigen Grundsatzes des Sicherheitsverständnisses ab – der Nichtbeteiligung an militärischen Konflikten als Kriegspartei. Sie zeigt sich optisch in einer steigenden Zahl von geografisch immer umfangreicheren Militärmanövern mit der NATO in Skandinavien und auf der Ostsee, wie die Großübung im Juni in Nordschweden und im Bottnischen Meerbusen mit provozierender Wirkung auf das zunehmend eingekreiste Russland. Generell können kaum noch Zweifel daran bestehen, dass die NATO inzwischen dabei ist, sich als dauerhaft präsenter Faktor nicht nur wie nie zuvor in der offiziellen Regierungspolitik ihrer alten nordischen Mitglieder, sondern dank des Mainstreams in den Medien Finnlands und Schwedens zunehmend auch dort im Alltagsbewusstsein der Menschen zu etablieren. Besonders deutlich wurde dies im Zusammenhang mit der Neubesetzung des Postens des NATO-Generalsekretärs im Juli – mit dem bisherigen dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen. Der Beifall für die Übernahme dieses Amtes durch einen »Nordländer« beschränkte sich keineswegs auf das Lager der konservativ-bürgerlichen Politiker innerhalb und außerhalb Dänemarks, sondern beförderte zugleich den fragwürdigen Stolz vieler seiner ansonsten politisch nicht besonders interessierten Landsleute.
In Norwegen änderte auch der Wahlsieg der rot-rot-grünen Koalition im September trotz aller Bemühungen der Sozialistischen Linkspartei um ein Ende des norwegischen Einsatzes in Afghanistan so gut wie nichts. Die Partei stand und steht in dieser Frage allein und erreichte im Rahmen der Verhandlungen für die neue Regierungskoalition von ihren Partnern, der sozialdemokratischen DNA und der Zentrumspartei, lediglich die Zusage, norwegische Soldaten nicht in die heißeste Kampfzone im Süden Afghanistans zu schicken.
In Finnland und Schweden als den beiden formal noch militärisch bündnisfreien Staaten arbeiten die bürgerlichen Koalitionsregierungen auf einen NATO-Beitritt hin. Gegenwärtig erschwert allerdings zu deren Verdruss das Problem Afghanistan mit der beabsichtigten Vergrößerung der dortigen Einsatzkontingente eine NATO-freundlichere Diskussion bei den »Normalbürgern«. In beiden Ländern bemühen sich die Außen- und Verteidigungsminister ähnlich wie in Deutschland darum, den Krieg in Afghanistan zu einem Einsatz »gegen Terror« sowie »für Demokratie und Stabilität« umzudeuten. In klarer Distanz dazu meldeten sich allerdings ernst zu nehmende Stimmen. Charly Salonius-Pasternak, ein in Finnland bekannter Forscher am Außenpolitischen Institut, analysierte den tief greifenden Rollenwechsel, den die ISAF-Kontingente der nordischen Staaten vollzogen haben. Den Charakter von UNO-Blauhelmen, die – wie zu Beginn behauptet – einen friedlichen Wiederaufbau gewährleisten sollten, hätten sie spätestens seit der Übernahme des Gesamtkommandos über die ISAF durch die USA verloren. In der Tat sind sie inzwischen Partei in den militärischen Operationen zur Stützung der Kabuler Regierung gegen die Taliban geworden. Den Spitzenmilitärs in Finnland und Schweden, so ließ die finnische Zeitung »Huvudstadsbladet« im Juli in einem Kommentar durchblicken, komme dieser Rollenwechsel durchaus gelegen: Im direkten Umfeld dieser beiden Länder habe es für die finnischen Streitkräfte seit 65 Jahren und für die des schwedischen Nachbarlandes sogar seit 195 Jahren keine Gelegenheit mehr gegeben, Erfahrungen in einem realen Kriegsgeschehen zu sammeln. Unverkennbar korrespondiert dieser Umstand mit der propagandistischen Forcierung eines für 2013 bis 2015 anvisierten Beitritts zur NATO. Überlappungen und Verklammerungen mit der von der EU bereits etablierten Nordischen Kampfgruppe (»Nordic Battle Group«) unter Führung Schwedens sowie der Schaffung militärisch relevanter Strukturen ebnen daneben den Weg der Gesamtregion in die NATO.
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