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- Generaldebatte im Bundestag
Merz droht mit weiteren Reformen
Kanzler erläutert im Parlament seine Vorstellungen von »Gerechtigkeit«
Große Mengen an Geld will die Bundesregierung ausgeben. Hohe zweistellige Milliardenbeträge fließen dabei weiter ins Militär und auch in Investitionen. All das soll vor allem durch hohe Kreditaufnahmen finanziert werden. Zugleich verzichtet der Staat nach dem Willen der Koalition von Union und SPD auf Steuereinnahmen von 50 Milliarden Euro von den Unternehmen, unter anderem durch schnelle Abschreibungsmöglichkeiten, um diese, wie ihre Protagonisten sagen, zu Investitionen und damit zur Schaffung von Jobs zu ermuntern. Das wurde am Mittwoch in der Generaldebatte des Bundestags zum Kanzleretat erneut deutlich. Die Rechnung dahinter: neue Stellen – weniger Ausgaben für Sozialleistungen.
In seiner Rede am Mittwoch bereitete Bundeskanzler Friedrich Merz die Menschen in Deutschland indes auf tiefgreifende Reformen vor und bat sie um ihre Unterstützung dafür. Es gehe »um nicht mehr und um nicht weniger als um die Zukunft unseres Landes: wie wir zusammenleben, wie wir arbeiten, wie wir wirtschaften, und ob unsere Werte weiterhin Bestand haben.« Es gebe »keine Zeit mehr zu verlieren«, so Merz. Denn jeder müsse spüren können, dass »die lange bekannten Probleme wirklich angegangen« würden. »Der Herbst der Reformen wird auch nicht die letzte Jahreszeit sein, in der wir das Land zum Besseren verändern«, kündigte er an.
Weiter betonte der Kanzler, die Trennung von Innen- und Außenpolitik sei überholt. So würde ein »von Russland diktierter Frieden in der Ukraine« den russischen Präsidenten Wladimir Putin ermutigen, »sich sein nächstes Ziel zu suchen«, warnte der CDU-Chef. »Putin testet längst die Grenzen«, betonte er. »Er sabotiert, er spioniert, er mordet, er versucht zu verunsichern.« Ganz ähnlich äußerten sich im Verlauf der Debatte weitere Unionspolitiker, die Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, Siemtje Möller (SPD), SPD-Fraktionschef Matthias Miersch, aber auch Vertreter der Grünen.
Merz beteuerte derweil, die geplanten Reformen dienten der »Stabilisierung der Sozialsysteme«. Er wolle einen »neuen Konsens« darüber herstellen, was Gerechtigkeit bedeute. Junge Menschen dürften nicht zusätzlich belastet werden, nur weil sie in der Unterzahl seien. Zugleich müssten die Älteren ihren Ruhestand in wirtschaftlicher Sicherheit genießen können.
»Der Herbst der Reformen wird auch nicht die letzte Jahreszeit sein, in der wir das Land zum Besseren verändern.«
Friedrich Merz Bundeskanzler
SPD-Fraktionschef Miersch betonte, bei den Reformen müsse es um Effizienz und Zielgenauigkeit gehen. Der Sozialstaat sei aber auch die Grundlage des Zusammenlebens und einer starken Wirtschaft. Erneut warb Miersch dafür, Vermögende stärker zur Kasse zu bitten und mahnte Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung an. Umgekehrt sei es ebenso richtig, dann einzugreifen, »wenn es um den Missbrauch des Sozialsystems« und »mafiöse Strukturen« in diesem Bereich gehe, sagte er. Miersch machte zugleich deutlich, dass etwa eine Vermögensteuer derzeit nicht realistisch sei. Ebenso dämpfte er die Erwartungen an eine nicht nur von der Linken geforderte Reform der Erbschaftssteuer.
Durch die Möglichkeiten, bei besonders hohen Erbschaften ab einem Wert von 26 Millionen Euro diese Steuer zu umgehen, entgingen dem Staat im vergangenen Jahr nach Angaben des Linke-Ko-Vorsitzenden Jan van Aken 3,4 Milliarden Euro. »Hören Sie doch endlich auf, Geld zu verschenken«, rief er den Vertretern der Regierung zu.
Mit Blick auf die Äußerung von Merz, wer arbeite, dürfe »nicht den Eindruck haben, dass er für den Missbrauch des Systems« bezahlen müsse, sagte van Aken, genau den Eindruck müsse man aber bekommen, wenn man sehe, dass dem Staat allein durch legale Möglichkeiten für Superreiche, Steuern zu vermeiden, jedes Jahr 80 Milliarden Euro Einnahmen entgehen. Schließe man diese Schlupflöcher, brauche es die von der Union strikt abgelehnten Steuererhöhungen gar nicht, um etwa den auskömmlich Sozialstaat zu finanzieren.
Merz hatte wiederholt erklärt, »wir« könnten uns den Sozialstaat »in seiner jetzigen Form« nicht mehr leisten. Diese Rhetorik attackierte auch Linksfraktionschefin Heidi Reichinnek. Mit der Debatte um das Bürgergeld suche die Union »Sündenböcke statt Lösungen«. Und statt Vermögende fair an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen und einen »armutsfesten Mindestlohn« zu schaffen, plane Schwarz-Rot einen »Herbst der sozialen Grausamkeiten«. Was die Koalition als Gerechtigkeit verkaufe, sei »nichts anderes als Armenhass«. Derweil sei für die Aufrüstung immer Geld da. »Das Einzige, was bei Ihrem Haushalt rollt, das sind die Panzer«, meinte die Linke-Politikerin.
Viele weitere Beiträge der Generaldebatte kreisten um vermeintlichen Antisemitismus. Diesbezüglich tat sich besonders der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Hoffmann, hervor, der zugleich gegen Die Linke austeilte und behauptete, diese wolle einen »Unrechtsstaat« und verkaufe »den alten Muff im modernen Tiktok-Gewand«. Mit Blick auf Demonstrationen gegen die israelische Kriegführung gegen die Zivilbevölkerung sagte Hoffmann, es sei »beschämend«, dass in der deutschen Hauptstadt »ein antisemitischer Mob regelmäßig durch die Straßen ziehen kann«.
Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt wiederum lobte die deutsche Erinnerungskultur. Erinnerungsorte müssten gestärkt werden, um das Gedenken an NS-Zeit, »SED-Unrecht«, »friedliche Revolution«, aber auch die Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus und des »NSU-Erbes« weiter zu ermöglichen. Göring-Eckardt empörte sich über die Ausladung der von dem israelischen Dirigenten Lahav Shani geführte Münchner Philharmoniker durch einen belgischen Veranstalter. Zugleich lobte sie Kulturstaatsminister Markus Weimer für die Schaffung einer Auftrittsmöglichkeit für Shani und Orchester in Berlin. Nach Angaben der Politikerin gibt es auch in Deutschland zunehmend »stillen Antisemitismus«, der sich darin zeige, dass jüdische Künstler weniger gebucht würden.
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