Berliner Produkte gefragt

Bürgermeister Harald Wolf freut sich auf rot-rote Nachbarn in Brandenburg und wünscht sich klare Worte von der SPD

  • Lesedauer: 6 Min.

ND: Berlin bekommt offenbar mit Brandenburg einen rot-roten Nachbarn. Ist die Berliner Linke erleichtert?
Wolf: Wir freuen uns grundsätzlich über jede neue rot-rote Regierung. Diese Entwicklung ist auch für die Region gut. Nur ein Beispiel: Der Senat hat ein Gesetz beschlossen, mit dem ein Mindestlohn für die Vergabe der öffentlichen Aufträge eingeführt wird. Mit Rot-Rot können wir den auch in Brandenburg bekommen. Dann gelten die gleichen Regeln.

Also weniger Konkurrenz?
Weniger Konkurrenz zwischen den Ländern. Brandenburg hat in der Vergangenheit versucht, sich als Billiglohnstandort zu profilieren. Das halte ich für eine falsche Strategie und erwarte, dass sich das ändert. Die Kooperation lässt sich vertiefen, auch Unstimmigkeiten lassen sich leichter ausräumen – über die gemeinsame Vermarktung der Region oder bei der Airport-Ansiedlung. Berlin wird nicht gegen Brandenburg bestehen können und Brandenburg erst recht nicht gegen Berlin. Wenn es schon zwei rot-rote Regierungen in der Region gibt, dann sind sie zur erfolgreichen Zusammenarbeit verdammt.

Die Fusion ist noch kein Thema?
Nach dem, was man aus Brandenburg und von Matthias Platzeck hört, steht dieses Thema zumindest in dieser Legislaturperiode nicht auf der Tagesordnung.

Neben der Landtagswahl in Brandenburg gab es die Bundestagswahl. Danach liegt die LINKE in Berlin jetzt ein paar Stimmen vor ihrem Koalitionspartner.
Vier Parteien haben das Potenzial, in Berlin stärkste Partei zu werden. LINKE, SPD, Grüne und CDU. Keine Partei kann sich auf ihrem Wahlergebnis ausruhen. Auch die SPD hat nicht die Gewissheit, dass sie bei den Abgeordnetenhauswahlen 2011 stärkste Partei wird. Das wird Konsequenzen haben müssen für unseren Wahlkampf und für unsere Wahlstrategie.

Braucht die LINKE einen eigenen Kandidaten für das Amt des Regierenden Bürgermeisters?
Die LINKE wird sich überlegen müssen, ob sie mit einer eigenen Bürgermeisterkandidatin oder einem –kandidaten antritt. Ja, das muss sie.

Die Regierungsbeteiligung ist aus der Negativdebatte der LINKEN aber raus?
Die Probleme, die wir in der Bundespartei hatten, sind mittlerweile einem sehr konstruktiven Verhältnis gewichen. Bei den Landtagswahlkämpfen, bei denen die Linkspartei erfolgreich war, hat sie auch mit erfolgreichen Themen von uns Berlinern in der rot-roten Koalition gepunktet: Gemeinschaftsschule, keine Studiengebühren, Sozialticket, Kulturticket, öffentlich geförderter Beschäftigungssektor, Vergabe nach gesetzlichem Mindestlohn. Wir in Berlin haben die öffentlichen Unternehmen nicht privatisiert, sondern saniert und leistungsfähig gemacht. All das sind Berliner Produkte. Für diese Produkte gibt es offensichtlich eine Nachfrage.

Werden Sie sich mit Ihren Bundes- und den Brandenburger Genossen treffen und sagen, hier bieten wir unsere Erfahrungen an?
Ja, sicher. Wir wollen uns mit der neu konstituierten Bundestagsfraktion eng koordinieren. Berlin ist dort auch mit fünf Abgeordneten gestärkt vertreten. Mit den Brandenburgern müssen wir uns bei Aktivitäten im Bundesrat abstimmen. Schön, dass das rot-rote Berlin dort wohl bald nicht mehr allein sein wird.

Haben sich in der Bundestagsfraktion die Gewichte zugunsten der sogenannten Realos verschoben?
Schlagworte wie Realos und Fundis sind sehr oberflächliche Charakterisierungen. Ich habe in meinem politischen Leben schon so manchen sogenannten Realo als »Irrealo« und so manchen Fundi – wenns zum Schwur kam – in der plattesten Anpassung enden sehen. In der Bundestagsfraktion sind die unterschiedlichen Haltungen und Strömungen innerhalb der LINKEN repräsentiert. Es ist eine große Fraktion mit starkem Potenzial. Wichtig wird sein, dass sie es schafft, innerhalb der Opposition die Meinungsführerschaft zu bekommen.

Ist das eine Kampfansage an die SPD?
Ach, ich weiß gar nicht, ob man im Moment mit der SPD kämpfen kann. Man soll nicht jemandem, der am Boden liegt, Kampfansagen machen. Die LINKE kann angesichts ihrer Stärke den Anspruch auf Meinungsführerschaft in der Opposition erheben. Den muss sie auch einlösen.

Die LINKE ist programmatisch immer noch die Partei des demokratischen Sozialismus, und wenigstens die Berliner SPD erinnert sich inzwischen schon wieder deutlich dieses eigenen Anspruchs aus dem Hamburger Grundsatzprogramm von 2007. Eine neue Nähe?
Also das stand schon in programmatischen Dokumenten der SPD, als sie die Agenda 2010 durchgesetzt hat. Die hatte weder mit demokratisch noch mit Sozialismus etwas zu tun. Mir wäre viel wichtiger, dass sich die SPD in ihrer praktischen Politik wieder als Partei sozialer Gerechtigkeit definiert und profiliert.

Sie soll die Agenda 2010 zurücknehmen, diesen Irrweg des Neoliberalismus verlassen. Die SPD hat die Arbeitsmärkte dereguliert. Sie hat nicht nur dafür gesorgt, dass mittlerweile ein Viertel im Niedriglohnsektor arbeitet, was sie heute lauthals beklagt, sondern sie hat auch massiv die Finanzmärkte dereguliert.

Jetzt, wo die Sozialdemokraten nicht mehr in der Regierungsverantwortung sind, wollen sie das alles auch nicht mehr so richtig haben.
Ja, aber ich kann bisher keine konsequente Linie der SPD erkennen. Was ist ihre Position zur Rente mit 67, zur Agenda 2010 und zu Hartz IV? Was will sie ändern, was will sie behalten? Die Frage ist, ob die SPD zu ihrem Kern zurückfindet, zur sozialen Gerechtigkeit.

An einer Selbstzerstörung der Sozialdemokratie kann man als Linker kein Interesse haben. Wenn wir mehrheitsfähig werden wollen in der Bundesrepublik, brauchen wir auch eine sozialdemokratische Partei. Sie muss über eine gewisse Stärke verfügen, bestimmte soziale Schichten ansprechen und integrieren sowie bündnisfähig sein. All das ist derzeit noch nicht gegeben.

In Berlin sind aber der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und Landes- und Fraktionschef Michael Müller ganz munter auf dem Weg.
Die Berliner SPD hat auch Distanz zur großen Koalition gehalten. Sie hat auch dadurch, dass sie seit fast acht Jahren gemeinsam mit der Linkspartei regiert, eine Linksentwicklung durchgemacht.

Auch von Klaus Wowereit würde ich mir aber klare Worte wünschen. Ich habe von ihm noch nicht gehört, dass er die Deregulierung des Arbeitsmarktes für falsch hält. Zur Rente mit 67 bot er den schönen Satz, dass wir jetzt nicht Mathematik betreiben, sondern Politik. Die Mathematik spreche für die Rente mit 67 und die Politik dagegen. Das möchte ich politisch umgesetzt sehen.

Das hieße, sie wünschen die Verstärkung genau dessen, womit die Linkspartei jetzt schon Erfolg hat?
Die klare soziale Orientierung muss Markenzeichen der Linken im Bund bleiben, in den Ländern und in den Kommunen. Dazu gehört, dass sie in der Wirtschafts- und Finanzpolitik die besseren Konzepte vorlegen.

Die Krise zeigt, dass der Neoliberalismus gescheitert ist, das Lohndumping und der Ausbau des Niedriglohnsektors haben wirtschaftspolitisch in die Sackgasse geführt. Es geht nicht nur darum, dass wir sagen, wir sind die soziale Partei. Wir sind zugleich die Partei der wirtschaftspolitischen Vernunft und auch deshalb in der Lage, sozialen Ausgleich zu organisieren.

Bürgermeister und Wirtschaftssenator Harald Wolf (53) gehörte zu Beginn der 90er Jahre als Fraktionsvorsitzender der PDS im Abgeordnetenhaus zu den Architekten der rot-roten Koalition in Berlin. Der Wirtschafts- und Finanzexperte, der aus Offenbach am Main stammt, war Mitglied der Alternativen Liste und der Grünen, bevor er 1999 der PDS beitrat. Dem Berliner Senat gehört der Dipl.-Politologe seit 2002 an. Mit ihm sprach Klaus Joachim Herrmann.

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