Mord in höchstem Auftrag

Die Neuköllner Oper macht aus Verdis »Rigoletto« einen zeitgenössischen Vatikan-Krimi

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 3 Min.
Dieser »Rigoletto« erzählt von Macht, Mafia und Mord.
Dieser »Rigoletto« erzählt von Macht, Mafia und Mord.

Dienstwagenaffären? Unberechtigte Freiflüge? Über solche Verfehlungen der Mächtigen können Italiener nur lachen. Südlich der Alpen gerät das Konglomerat aus Staat, Kirche und Mafia nicht einmal durch Morde ins Wanken. So ist der Fall der vor 25 Jahren entführten Emanuela Orlandi noch immer nicht aufgeklärt. Obwohl die Ermittlungen ins Zentrum der Kurie weisen, verweigert der Vatikan jegliche Auskunft. Bernhard Glocksin, Künstlerischer Leiter der Neuköllner Oper, und die sizilianische Sängerin Etta Scollo haben die realen Figuren und Umstände des Verbrechens zu einem fiktionalen Musiktheaterkrimi verarbeitet. »Der Fall Rigoletto« wurde in der vergangenen Woche in der Neuköllner Oper uraufgeführt.

Hintergrund ist die grausige Realität: Emanuela, die 15-jährige Tochter eines Vatikan-Angestellten wurde 1983 entführt. Die Spekulationen um diesen Fall kochten 2008 erneut hoch, als eine gewisse Sabrina Minardi bei der Polizei auftauchte, die Ex-Geliebte eines römischen Mafiabosses. Dieser habe die junge Emanuela umgebracht, so die Zeugin. Dadurch sollte ihr Vater zum Schweigen gebracht werden, der in seiner Tätigkeit für Papst Johannes Paul II. mit Geheimwissen in Berührung gekommen war. Als Auftraggeber nannte Minardi den Erzbischof Marcinkus, der damals die Vatikanbank leitete.

Das Stück hangelt sich an Verdis »Rigoletto« entlang; die Parallelen sind in der Tat verblüffend. Vater Orlandi ist wie der Hofnarr Rigoletto ein kleiner Angestellter im Zentrum der Herrschaft; auch er kann seine Tochter nicht vor dem Zugriff der Mächtigen bewahren.

Wie aber lassen sich Verdis romantische Orchesterklänge ins Heute übertragen? Etta Scollo kam auf den geistreichen Kunstgriff einer Banda-Besetzung. Jene virtuosen, volkstümlichen Blaskapellen beschallen bis heute die italienische Piazza; Verdi-Hits gehören immer noch zu ihrem Repertoire. Hans-Peter Kirchberg leitete engagiert das schmissige kleine Ensemble aus einigen Blech- und Holzbläsern, E-Klavier und Gitarre; beim düsteren Fluchmotiv dröhnt dazu ein an die Wand gehängtes Wellblech. Nur in den Rezitativen erweist sich die Besetzung als zu dick und schwerfällig.

Vor allem aber gelingt der Zeitsprung durch einen neuen Text, der ungekünstelte Umgangssprache verwendet und sich dennoch an die von der Musik vorgezeichneten psychologischen Vorgänge anschmiegt. »Mann, seid ihr eitel, vom Schwanz bis zum Scheitel«, singt die Mafiaboss-Geliebte Minardi und bringt damit jene Deftigkeit ins Spiel, die bei Verdi noch der Zensur zum Opfer fiel.

Etta Scollos Lieder, eine Mischung aus italienischer Folklore und Chanson, kommentieren die Handlung. Mal sind es Spottgesänge auf die korrupten, lüsternen Priester, dann wieder Liebeslieder. Am Ende fragt die Zierliche in ihrem viel zu großen Mantel: »Wo verliert sich die Geschichte / ohne Adressen und Gesichter?«

Belcanto-Fans sind hier fehl am Platze; der Gesang dient ganz als Motor der Handlung. Zudem überzeugen die Darsteller vor allem durch ihre Schauspielleistungen. Alexandra Schmidt gibt die Emanuela als entzückend quirligen Teenager; im Gesang fehlt jedoch die Palette der leisen Töne.

Ihren einerseits fürsorglichen, andererseits gegenüber den Vorgesetzten devoten Vater spielt Jörg Gottschick sehr eindringlich. Toll besetzt ist ebenfalls das Personal der fiesen Drahtzieher im Hintergrund: Kerem Can als schmieriger Mafiaboss, Tobias Hagge als Gendarmerie-Chef mit Türsteherqualitäten und der von Dejan Brik verkörperte korrupte Richter. Ein Besuch ist zu empfehlen. Wer Oper bislang für unpolitisch hielt, wird hier eines Besseren belehrt.

Wieder 29.-31. Oktober, 5.,6.,14.,15.,19.-22. November, 20 Uhr, Neuköllner Oper, Karl-Marx-Straße 131-133, Infos unter www.neukoellneroper.de

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