Auf dem Weg zu Murks IV

Bundesregierung will Jobcenter wieder entflechten / Senat befürchtet Chaos für ALG-II-Empfänger

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.

Als würde das Leben als Empfänger von Transferleistungen nicht schon genug Schwierigkeiten bereithalten. Nun will die neue bürgerliche Bundesregierung auch noch die Jobcenter auflösen, die erst im Zuge der Hartz-Politik geschaffen worden waren. Das Vorhaben geht auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu den Jobcentern von Ende 2007 zurück. Karlsruhe erklärte darin damals, dass »Arbeitsgemeinschaften« zwischen der Bundesagentur für Arbeit und den Kommunen verfassungswidrig sind. Eine bereits verhandelte Grundgesetzänderung, um die aus dem Urteil resultierenden Probleme abzuwenden, verhinderte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Mai 2008.

Die Konsequenzen müssen nun auch die Berliner Bezieher von Transferleistungen ausbaden. »Das wird ein neues Chaos geben«, befürchtet Angelika Wernick von der AG Sanktionen der Berliner Kampagne gegen Hartz IV. Die ohnehin massiv vorhandenen Probleme der Arbeitsmarktpolitik dürften sich durch das Vorhaben weiter verschärfen.

Um es an einem fiktiven Beispiel zu erläutern: Frau Meyer, alleinerziehende Mutter, muss nach den bisher bekannt gewordenen Plänen der Bundesregierung für ihr ALG II künftig immer noch zum Jobcenter gehen, das dann allein durch die Bundesagentur für Arbeit betrieben wird. Muss sie aber einen Antrag für die Kosten der Unterkunft einreichen, geht es mit ihren Töchtern zu einer neu zu schaffenden Behörde des Landes Berlin. Ob diese aber wie bisher unter dem selben Dach residiert, ist völlig offen. Da, wo jetzt nach langer Anlaufzeit ein Amt zuständig ist, sind es künftig zwei – mit möglicherweise allen Problemen, die eine Doppelstruktur beinhaltet.

Dabei war das »Angebot aus einer Hand« eines der wenigen positiven Dinge in der Hartz-Gesetzgebung, sagt Berlins Arbeitssenatorin Carola Bluhm (LINKE). Bis zum 31. Dezember 2010 muss die Trennung vollzogen werden. Verdammt wenig Zeit, meint Bluhm. Denn bisher seien nicht mal Vorgaben vom Bund gekommen, wie die Maßnahmen umgesetzt werden sollen. Die neue Arbeitssenatorin glaubt auch nicht, dass die Qualität der Betreuung für die Betroffenen weiter verbessert werden kann: »Schon die Sicherung des Status Quo wird uns erheblich beschäftigen.«

Ähnliche Kritik äußerte gestern Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD): »Die schwarz-gelbe Bundesregierung ist mit diesem Vorhaben auf dem Weg von Hartz IV zu Murks IV.« Die Trennung sei »bürgerfeindlich«.

Dass die Doppelstrukturen zu Mehrkosten bei Personal und Ausstattung führen werden, liegt in der Natur der Sache. »Das wird teuer«, prognostiziert Carola Bluhm. Wie hoch die zusätzlichen Mittel sein werden, ist jedoch wegen der unbekannten Variablen unklar. Eine Arbeitsgruppe aus Senat, Bezirken und Regionaldirektion soll jetzt die vielen offenen Fragen klären, damit die Leistungsempfänger so wenig wie möglich durch die Umstellung belastet werden.

Im Bundesministerium für Arbeit weist man die Berliner Kritik zurück, kann jedoch zu dem Vorhaben wenig sagen. »Wir haben seit drei Tagen einen neuen Minister«, bittet eine Sprecherin Franz Josef Jungs (CDU) gegenüber ND um Nachsicht. Die »Reform« werde aber als eines der ersten Projekte des Ministeriums in den nächsten 14 Monaten auf den Weg gebracht.

In der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg sieht man die Zukunft der Jobcenter weniger pessimistisch. »Die von der neuen Bundesregierung geplante Neuordnung der Job Center bedeutet nicht das Ende, sondern die Fortsetzung der fruchtbaren Zusammenarbeit von Arbeitsagenturen und Bezirken vor Ort«, betont die Vorsitzende der Geschäftsführung, Margit Haupt-Koopmann. Und: Panikmache und Verunsicherung der Hartz-IV-Bezieher sei verfehlt.

Betroffene und Politiker fürchten jedoch überdies mehr juristische Verfahren durch die Trennung. Die Situation an den Sozialgerichten dürfte sich weiter verschärfen. Schließlich wird es, wo zwei Behörden zu entscheiden haben, automatisch auch interne Widersprüche geben.


Hartz IV in Berlin

  • In Berlin gibt es analog zu den Bezirken 12 Jobcenter. In ihnen sind insgesamt 5700 Vollzeitstellen eingerichtet. Davon sind 1500 von Bediensteten der Bezirke besetzt, der Rest der Mitarbeiter kommt von der Bundesagentur für Arbeit.
  • Insgesamt gab es in der Hauptstadt im August dieses Jahres 316 099 Bedarfsgemeinschaften – 567 071 Personen bezogen im Oktober Transferleistungen nach Hartz IV.
  • Im Oktober 2009 waren bei den Agenturen für Arbeit und den Jobcentern 228 727 Personen arbeitslos gemeldet. Die Zahl der Arbeitslosen, welche durch die SGB-II-Träger betreut werden, betrug 81,1 Prozent (185 447). Für 18,9 Prozent der Arbeitslosen (43 280) waren die Arbeitsagenturen zuständig. Quelle: Regionaldirektion/Senat
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