Tel Aviv für Alle

Die israelische Basisbewegung Ir le-kulanu kämpft gegen Verdrängung

  • Folke Havekost
  • Lesedauer: 3 Min.

Bevor es gestern Nachmittag nach St. Pauli und Altona ging, stand erstmal Wilhelmsburg auf dem Programm: Hamburger Inselstadtteil zwischen Norder- und Süderelbe. 50 000 Einwohner, darunter 34 Prozent Migranten. Früher wurde die Elbinsel konsequent als »sozialer Brennpunkt« betrachtet, heute liegt sie ziemlich weit vorne im Rennen um das nächste Boom-Viertel.

»Natürlich ist Hamburg anders als Tel Aviv, aber einige Bedingungen des städtischen Lebens ähneln sich sehr«, sagt Sharon Malki von Ir le-kulanu, einem linksalternativen Bündnis aus Tel Aviv, das mit einer vierköpfigen Delegation auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie der LINKEN-Bürgerschaftsfraktion seit Sonntag in Hamburg ist. Und sei die Gemeinsamkeit, dass in der Nähe von Malkis Wohnung in Tel Aviv wie auch in Wilhelmsburg gerade eine große Autobahn geplant wird, gegen die sich die Initiative »Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg« richtet.

Ir le-kulanu heißt übersetzt »Eine Stadt für Alle«, womit Ähnlichkeiten zu hiesigen Stadtbewegungen auch beim Namen zu erkennen sind. Im November 2008 erreichte der Zusammenschluss aus sozialen und Umweltbewegungen bei den Kommunalwahlen in Tel Aviv auf Anhieb 20 Prozent der Stimmen und stellt in der zweitgrößten Stadt Israels nun die stärkste Fraktion im Stadtrat. Ihr Bürgermeisterkandidat Dov Khenin erreichte sogar 35 Prozent der Stimmen mit einem Wahlkampf, der sich gegen die Vertreibung eingesessener Bevölkerungsschichten aus Wohnvierteln richtete.

Prozesse von Gentrifizierung (Stadtumbau) betreffen vor allem die 4000 Jahre alte Hafenstadt Jaffa, die seit 1950 mit Tel Aviv zusammengeschlossen ist. Die angestrebte touristische Erschließung von Jaffas Altstadt und ihres mittelmeernahen Viertels Ajami führt dazu, dass Menschen ihre Wohnungen auf öffentlichem Grund verlassen müssen, um Platz für lukrative Investitionen zu machen. Der Vorwurf rechtswidriger Um- und Zubauten an den Wohnungen dient der Stadtverwaltung bevorzugt als Vorwand für ihre Räumungspolitik. »Hier kommt zum sozialen Aspekt noch ein nationaler dazu, da zumeist arabische Israelis und Palästinenser betroffen sind«, erläutert Malki. Die Gentrifikationsdebatte in Tel-Aviv-Jaffa läuft jedoch nicht konsequent entlang arabisch-jüdischer Konfliktlinien. Im Süden Tel Avivs sind von ähnlichen Prozessen hauptsächlich orientalische Juden betroffen.

Breite Bündnisse schmieden und Themen besetzen, die die Menschen bewegen – nach der schweren Niederlage der linksgerichteten Parteien bei den Knesset-Wahlen im Februar 2009 wird Ir le-kulanu auch als Modell für zukünftige Erfolgsstrategien angesehen. »In Israel gibt es neben sozialen Themen auch immer das Thema Sicherheit«, erklärt Malki, »auf nationaler Ebene liegt es an erster Stelle.« Einer der Gründe für den Erfolg sei, dass sie bei den Kommunalwahlen verdeutlichen konnten, dass es dort nicht um nationale Aspekte geht. Das schränkt die Übertragbarkeit des Ir-le-kulanu-Modells auf ganz Israel allerdings wiederum ein.

»Die Konflikte in Tel Aviv sind in der Form völlig anders, strukturell aber oft gleich«, sagt Christiane Schneider, parlamentarische Linksgeschäftsführerin in Hamburg, die Ir le-kulanu im Mai in Tel Aviv besucht hatte. Vielleicht nicht zum letzten Mal. Die Zusammenarbeit soll weitergehen.

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