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Verantwortung

Streitbare Frauen

Was ist ein Turmschreiber? Michaela Karl ist Mitglied der Münchner Turmschreiber. Auf die Autorin ist die Leserin in Berlin aufmerksam geworden. Denn sie beeindruckte mit einer Erzählung in Porträts über die Münchener Räterepublik. Einer Revolution, für die sich die etablierte Zunft nicht sonderlich interessiert und die in Bayern nach wie vor verhasst ist. Auch ihr Suffragetten-Buch setzte ein Ausrufezeichen. Und nun hat die Dozentin an der Hochschule für Politik in Bayerns Hauptstadt »streitbaren Frauen« ein Denkmal gesetzt.

Die hier versammelten Protagonistinnen sind so verschieden, wie sie nur sein könnten. Doch die Autorin hat eine Klammer gefunden: Sophokles Antigone »hat gegen zwei Gesetze verstoßen, die nicht nur in der antiken Welt Gültigkeit hatten, sondern auch lange danach noch galten: Zum einen missachtete sie ein Gesetz der Regierung und zum anderen die ihr zugedachte Rolle als Frau, wonach sie sich dem Mann unterzuordnen und sich von der politischen Bühne fernzuhalten habe. Statt sich den politischen und gesellschaftlichen Geboten zu beugen, kämpfte sie unbeirrbar, mutig und entschlossen für die Umsetzung eines höheren Zieles«. Gleich den in diesem Buch porträtierten Frauen. »Die Umsetzung ethischer Werte hatte bei ihnen stets Vorrang vor der Umsetzung weltlicher Gesetze.« Sie fühlten eine tiefe moralische Verantwortung, angetrieben von Wut und Empörung über Missstände. »Couragiert und furchtlos stritten sie für ihre Überzeugungen, allen Widrigkeiten zum Trotz.«

Michaela Karl zeigt Frauen nicht nur als Opfer, sondern als Täterinnen, Überzeugungstäterinnen, die teils ob ihrer Radikalität als Fanatikerinnen verschrieen waren wie Charlotte Corday (1768-1793), die zwar die Französische Revolution begrüßt hatte, aber dann einen ihrer führenden Köpfe, Jean Paul Marat ermordete. Oder Emmeline Pankhurst (1858-1928), die 1913 eines Bombenanschlags auf das Landhaus des britischen Schatzkanzlers David Lloyd George angeklagt und zu Haft verurteilt worden war. Und die Anarchistin Emma Goldman 1869-1940), der Gewalt für einen revolutionären Wandel letztlich notwendig erschien.

Radikale Frauen machen Männern Angst. Das weibliche Ferment steht gemeinhin für friedliche Mittel der Auseinandersetzung, Ausgleich und Aussöhnung. Frauen dürfen sich nicht gewaltsam vor und gegen Gewalt wehren. Warum? Feldzüge für die Gerechtigkeit sollen ihre Sache nicht sein. Wieso?

Michaela Karl berichtet von Frauen, die mit ihrer sozialen Schicht brachen, auch mit Freunden und Partnern – um der Sache willen. Sie erinnert an Tamara Bunke (1937- 1967), die mit Che starb, und die Fotografin und Revolutionärin Tina Modotti (1896 -1942). Auch Frauen sind nicht unfehlbar, lesen wir. Natürlich nicht. »Doch wie immer man auch zu ihnen stehen mag, eines ist unbestritten: Sie waren charakterfest, geradlinig und von unbeugsamem Willen.« Ja, z. B. die 1848er-Streiterin Mathilde Franziska Anneke (1817-1884), deren 125. Todestag sich jetzt jährte (s. ND v. 21./22.11.). Das in diesem Band Bertha von Suttner (1843-1914), emanzipierte Adlige und Streiterin für den Weltfrieden, nicht fehlt, versteht sich von selbst. Schön, dass auch an Vera Figner (1852-1942), die russische Revolutionärin, ebenfalls adeliger Herkunft, erinnert wird. Und an – damit stelltvertretend für die nicht wenigen, oft vergessenen mutigen Frauen in den Ländern der kolonialen und Dritten Welt – Phoolan Devi (1963-2001), die »Königin der Banditen« (so der Titel ihrer Autobiografie 1994). Jedem Porträt ist ein Zitat vorangestellt. Bei Clara Zetkin (1857-1933): »Und so habe ich der Revolution gedient, weil ich aus innerer Notwendigkeit der Revolution dienen musste.« Nicht vergessen ist ihre mutige Rede als Alterpräsidentin des Reichstages gegen die Nazis. Ein gutes, lehrreiches Buch.

Michaela Karl: Streitbare Frauen. Porträts aus drei Jahrhunderten. Residenz Verlag, Salzburg. 270 S., geb., 21,90 €.

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