Indien Weltmeister bei Ladendiebstählen

Eine unglaubliche Reklameflut weckt unerfüllbare Begehrlichkeiten in der Bevölkerung

  • Hilmar König, Delhi
  • Lesedauer: 3 Min.

Der jüngste Bericht des jährlichen Globalen Kleinhandel-Diebstahlbarometers hat es an den Tag gebracht: Indien liegt an der Spitze der 41 Staaten, in denen zwischen Juli 2008 und Juni 2009 die »Handelsschrumpfung« registriert wurde. Dabei geht es um den Warenverlust, der durch Ladendiebstähle, Diebstähle durch Angestellte, Fehler im Verwaltungsbereich und Lieferbetrug entstanden ist. Der Verlust in den indischen Geschäften, der 3,2 Prozent des Umsatzes betrug, belief sich auf immerhin 2,6 Milliarden Dollar.

Der Löwenanteil mit 45 Prozent geht auf das Konto von Ladendieben. Besonders begehrt sind Schmuck – die Inder haben global den höchsten Goldkonsum – sowie elektronische Erzeugnisse, Handys, Kosmetika und Alkohol. »Je kleiner und handlicher das Produkt, desto größer die Chance, es verschwinden zu lassen«, kommentierte Nilesh Gupta, Manager der Ladenkette Vijay Sales. Sein Kollege Binit Bhatt von Treasure Jewellery in Mumbai ergänzt: »Viele Diebe arbeiten in Gangs und gehen äußerst clever vor. Sie sind nur schwer zu fassen.« Die Geschäfte versuchen sich mit Kameras und Sicherheitspersonal zu schützen und mit ausgestellten Produktattrappen die Verluste so gering wie möglich zu halten. Dafür wendet der Kleinhandel alljährlich 158 Millionen Dollar auf.

Nach den Ladendieben folgen mit 23 Prozent Anteil am Gesamtschaden die Langfinger aus dem eigenen Kollegenkreis. Diese Rate ist fünfmal höher als im Rest der asiatisch-pazifischen Region. Irfan Bhamla, Chef des Kosmetikhauses »Beauty Palace« am Crawford Market von Mumbai, weiß aus Erfahrung, dass »es leichter ist, einen Ladendieb zu fassen als einen Mitarbeiter aus den eigenen Reihen«. Inzwischen sind strikte Taschen- und Leibesvisitationen nach Ladenschluss in vielen Geschäften an der Tagesordnung. Im Diebstahlbarometer liegen Taiwan und Hongkong ganz am Ende. Dort wird also am wenigsten gemaust.

Wenn für den nicht gerade rühmlichen indischen Diebstahlrekord auch keine sozialen Analysen vorliegen, dürfte das enorme, immer noch wachsende Gefälle zwischen den Armen und Reichen einer der Gründe dafür sein. Im Zuge der markwirtschaftlichen Reformen sind seit 1991 vor allem in den Städten Glitzerwelten, Shopping Malls, im Neonlicht flimmernde Verkaufsstraßen, prächtige Konsumtempel für die Mittel- und Oberschicht entstanden, die natürlich auch für die nicht Vermögenden verlockend sind. Eine unglaubliche Reklamewelle in den elektronischen und den Druckmedien trägt ihr Scherflein dazu bei, Begehrlichkeiten zu wecken, die für die Masse der Inder mit niedrigen Einkommen, die zum Teil nicht einmal zu drei Mahlzeiten am Tag reichen, unerfüllbar bleiben. Nur ein Beispiel vom Mittwoch: Die englischsprachige »Times of India« warb auf den kompletten Seiten 1 und 2 sowie auf weiteren elf (!) Seiten für »Volkswagen. Das Auto«. Das allerdings lässt sich so einfach nicht aus den Autosalons klauen.

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