Kudamm-Buch

Renaissance mit Kriegsruine

  • Wilfried Mommert, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Berliner Kurfürstendamm ist wohl der einzige Glamour- und Bummel-Boulevard in der Welt, der als Blickfang noch immer eine Kriegsruine hat. Auch wenn die Gedächtniskirche längst moderne Anbauten erhalten hat, ist der Sakralbau aus wilhelminischen Zeiten neben dem Brandenburger Tor zu einem der Wahrzeichen der Hauptstadt geworden. Aber »rund um die Gedächtniskirche«, wie auch Lieder und Chansons heißen, war auch »immer was los«.

Davon erzählt der jetzt erschienene Band »Heimweh nach dem Kurfürstendamm – Geschichte, Gegenwart und Perspektiven des Berliner Boulevards« vom Studiengang Architektur der Berliner Universität der Künste (UdK). Es sind trotz der wissenschaftlichen Autorenschaft lebendig und kenntnisreich erzählte Geschichten. Denn in dem Band geben neben detailreichen Informationen und historischen Fotos auch Emotionen und plastische Erinnerungen den Ton an, wenn von Aufstieg, Niedergang und Comeback des Kudamms erzählt wird, der ja seit dem Mauerfall vor 20 Jahren in heftiger Konkurrenz zum historischen Renommierboulevard Unter den Linden und der Neuen Mitte im Osten der Stadt steht.

Dabei kommen auch Zeitzeugen in ausführlichen Beiträgen zu Wort wie die Galeristen Dieter Brusberg und Bernd Schultz, der Kinobetreiber Franz Stadler, der Theaterdirektor Jürgen Wölffer oder der ergraute Playboy Rolf Eden.

Kaffeehauskultur im Niedergang

Der Band erinnert auch an die ersten Jahre der Berlinale, die zunächst am Kudamm angesiedelt war und regelmäßig für ein Verkehrschaos sorgte, wenn James Stewart, Gina Lollobrigida, Jean Marais oder Richard Widmark hier von den Fans umlagert wurden. Es war auch die Zeit, als der Kudamm mit 17 Premierenkinos die unbestrittene »Kinomeile Deutschlands« war.

Ähnliches gilt auch für die früher viel besungene Kaffeehaus-Kultur des Boulevards, die mit dem Verschwinden des Café Möhring und der legendären Kranzler-Kaffeetischen mitten auf den Kudamm- Gehwegen ebenfalls schwere Rückschläge zu verkraften hat, wenn auch schon wieder Wiederbelebungs- und Behauptungsversuche an allen möglichen Ecken und Enden unternommen werden. Abgesehen davon, dass viele Berliner und Berlin-Liebhaber vor allem auf die quicklebendigen und bunten Seitenstraßen des Boulevards schwören.

Aufschlussreich ist auch die im Buch beschriebene wechselvolle Architektur- und Baugeschichte des Kudamms, die sich besonders an prominenten Ecken wie dem Kranzler- und Kudamm-Eck und dem traurigen Schicksal des Kudamm-Karrees, wo die Komödie und das Theater am Kurfürstendamm um ihre Zukunft bangen, manifestiert. Hier soll übrigens der britische Stararchitekt David Chipperfield die Rettung bringen.

Das im Bau befindliche Zoo-Fenster am Bahnhof Zoo zeigt aber auch, dass sich der Kudamm und seine Seitenstraßen schon immer einem lebendigen Wandel ausgesetzt sahen – getreu einem Motto der ganzen Stadt, »nie zu sein, sondern immer zu werden«. Die Flanier- und Bummelmeile im Berliner Westen, der als Ortsbestimmung und Charakterkennzeichen eines Teils der Metropole auch schon vor dem Krieg so genannt wurde, erlebt eine Renaissance.

Michael Zajonz und Sven Kuhrau, Hrsg.: »Heimweh nach dem Kurfürstendamm – Geschichte, Gegenwart und Perspektiven des Berliner Boulevards«, Michael Imhof Verlag, Petersberg, 176 Seiten, 19,95 Euro

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