Zeit für Pierer läuft ab

Siemens-Aufsichtsrat berät heute über mögliche Klage gegen Ex-Chef

  • Christine Schultze, München (dpa)
  • Lesedauer: 3 Min.
Der frühere Siemens-Chef weigert sich, wegen des Korruptionsskandals Schadenersatz zu zahlen. Muss Heinrich von Pierer vor Gericht?
Der Streit zwischen dem Elektrokonzern Siemens und seinem früheren Vorstands- und Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer steuert auf den Höhepunkt zu. Seit fast eineinhalb Jahren pocht das Unternehmen auf Schadenersatz von der einstigen Führung für den milliardenschweren Schmiergeld-Skandal, beißt damit aber bei Pierer nach wie vor auf Granit. Doch nun läuft die Zeit für den einstigen »Mister Siemens« endgültig ab: Heute berät der Aufsichtsrat über die Konsequenzen aus Pierers Weigerung. Dass er in letzter Sekunde einlenkt, gilt als unwahrscheinlich, deshalb steht dem 68-Jährigen wohl eine Klage seines früheren Arbeitgebers ins Haus.

Der Korruptionsskandal hatte das Unternehmen 2006 in seine bisher schwerste Krise gestürzt und schon rund 2,5 Milliarden Euro für die Aufarbeitung gekostet. Die Siemens-Aufseher werfen dem früheren Top-Management vor, nicht genau genug hingeschaut und so das System aus schwarzen Kassen und fingierten Beraterverträgen ermöglicht zu haben, über das Schmiergelder zur Erlangung von Aufträgen in aller Welt flossen. Dafür verlangt der Konzern zumindest einen symbolischen Beitrag von der damaligen Spitze. Mit drei Ex-Vorständen hat sich Siemens bereits geeinigt, auch die Mehrzahl der übrigen Ex-Manager soll zu Schadenersatzzahlungen bereit sein, darunter der frühere Konzernchef Klaus Kleinfeld.

Pierer dagegen wies die Vorwürfe von Anfang an entschieden zurück. Er soll mit sechs Millionen Euro die höchste Summe zahlen und fühlt sich auch deshalb ungerecht behandelt. Ein Ultimatum für eine gütliche Einigung ließ er verstreichen. Auch Siemens-Chefkontrolleur Gerhard Cromme will nicht mehr auf Pierer zugehen, um ihn zum Einlenken zu bewegen, weil dies aussichtslos sei, berichtete die »Süddeutsche Zeitung«.

Pierer kämpft um sein Lebenswerk. Rund 13 Jahre stand er an der Spitze des Konzerns, mittlerweile gilt er in der Siemens-Zentrale am Wittelsbacherplatz in München als Persona non grata. Eine persönliche Verwicklung in den Skandal bestritt Pierer stets, eher vage räumte er lediglich eine »politische Verantwortung« ein.

Dem Aufsichtsrat bleibt vermutlich keine andere Wahl, als ihn zu verklagen, sagt der Wirtschaftsrechtler Mathias Habersack von der Universität Tübingen. Wenn das Kontrollgremium der Überzeugung ist, dass ihm ausreichende Anhaltspunkte für Pflichtverletzungen von Vorständen vorliegen, muss es schon von Rechts wegen einschreiten. Andernfalls könnten die Aufseher selbst haftbar gemacht werden.

Sollte es zur Klage gegen Pierer kommen, stünde der einstige Berater von Angela Merkel vor einem schwierigen und möglicherweise langwierigen Verfahren. »Das Aktiengesetz geht davon aus, dass die Beweislast in solchen Fällen dem Betroffenen obliegt«, sagt Habersack. Erst kürzlich hatte ein Gutachten einer Düsseldorfer Anwaltskanzlei den früheren Konzernchef unter Druck gesetzt. Demnach soll das damalige Top-Management um Pierer schon von Ende 2003 an Hinweise auf schwarze Kassen, dubiose Beraterverträge und fragwürdige Treuhandkonten erhalten, die Kontrollen aber nicht zügig verschärft haben, wie der »Spiegel« berichtete.

Geschäftlich dürfte es für Siemens derweil im Schlussquartal 2008/09 (30. September) durchwachsen gelaufen sein. Die genauen Zahlen legt der Konzern am Donnerstag vor. Trotz eines Stabilisierungstrends im Jahresverlauf rechnen Experten im Vergleich zum Vorjahr mit prozentual zweistelligen Rückgängen bei Auftragseingang und Umsatz. Der Gewinn im Kerngeschäft dürfte zwar auch dank des Sparprogramms zugelegt haben, doch fürchten Analysten wegen Belastungen durch das Gemeinschaftsunternehmen Nokia Siemens Networks unter dem Strich rote Zahlen. Auch wegen der Folgen der Wirtschaftskrise hatten die Beschäftigten zuletzt immer wieder Sorgen um ihre Jobs geäußert. Anlässlich der Aufsichtsratssitzung wollen heute Beschäftigte zweier Sparten gegen Ausgliederungen und befürchteten Jobverlust protestieren.

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