Shoppen rettet die Welt

Haben wir ein Gen, das uns zum Konsum verführt?

  • Simone Schmollack
  • Lesedauer: 7 Min.

Imelda Marcos, die Frau des philippinischen Ex-Diktators Ferdinand Marcos, soll 3000 Schuhe besessen haben, Popstar Maria Carey soll 10 000 Paar horten. Und Paris Hilton soll für ihre vielen Kleider keine Schränke brauchen, sondern ganze Zimmer. Mal davon abgesehen, dass die Frauen das ganze Zeug sowieso nie tragen können, weil der Tag auch in Zeiten der Globalisierung nur 24 Stunden hat. Am Ende nämlich, aber eigentlich ganz am Anfang, steht ein ganz anderes Problem: Der Kram muss ja auch eingekauft werden. Was für eine Vorstellung: Durch Kaufhäuser und Boutiquen hetzen, rein in die Umkleidekabine, alte Klamotten runter, neue Klamotten ran, ramschen, bezahlen, weiter hetzen, jetzt mit Tüten und Kisten.

Es soll ja Leute geben, die bekommen bei so etwas einen Orgasmus: Drei zwei eins meins! Und wenn die Bluse dann erst mal zu Hause im Schrank hängt, dann hängt sie da und hängt und hängt. Weil sie eigentlich doch nicht so schick ist, wie sie im Laden aussah. Und man fragt sich: Warum habe ich die bloß gekauft? Ja, warum eigentlich?

Wir können gar nichts dafür, wenn wir immer wieder zuschlagen, sagt Eva Tenzer. Das hat die Evolution gemacht, das sind die Gene. Eva Tenzer muss es wissen, sie hat gerade ein Buch darüber geschrieben, was im Hirn und mit unseren Hormonen passiert, wenn der Einkaufsbeutel immer dicker wird. Die promovierte Historikerin und Wissenschaftsjournalistin hat sich in früheren Büchern bereits mit anderen Phänomenen menschlicher Erfahrungen, Neigungen und Leidenschaften befasst, mit dem Alter etwa, dem Glück und der Liebe. »Go shopping« komplettiert nun den Reigen der Eitelkeiten und Abgründe und bedingt ihn auch. Denn Konsum ist in erster Linie das: Lust und Vergnügen, Rausch und Befriedigung, Illusion und Sex. Man will von allem etwas, und man will davon immer mehr. Das treibt an, dafür steht man auf, dafür gibt man Geld aus, und dafür verschwendet man sich. Und für all das soll man, wie gesagt, gar nichts können, da soll der Mensch absolut ferngesteuert sein. »Das Gehirn konsumiert ausgesprochen gern. Es hat im Laufe der Evolution zahlreiche Mechanismen entwickelt, die uns Enthaltsamkeit schwermachen. Sehr schwer«, schreibt die Autorin.

Noch so eine These, die den Menschen befreit von der Verantwortlichkeit für sein eigenes Tun? Wissenschaftler haben nachgewiesen, so schreibt Tenzer, dass Kaufen und Besitzenwollen vor allem mit Emotionen verbunden ist: Auch wenn man sich noch so sicher ist, die zehnte Jeans und die vierte Bohrmaschine gar nicht zu brauchen, kaufen die meisten sie doch. Die Verkäufer müssen die Produkte nur schlau genug anpreisen. Sie spielen mit den Gefühlen der Käufer. Es ist wie beim Fremdgehen: Man will es nicht, man ist ja gut versorgt eigentlich, aber dann kann man nicht widerstehen, weil das Fremde, das Neue, das Unbekannte so aufregend ist, weil es gut riecht und weil es sich einfach gut anfühlt. Dann greift man zu – und hat am Ende vielleicht ein schlechtes Gewissen. Den One-Night-Stand versucht man zu vergessen, die Bohrmaschine verschenkt man.

Ohne Konsum würde die Menschheit möglicherweise gar nicht existieren. Konsumieren hat sich im Laufe der Evolution bewährt, dabei bestimmte das Haben stets das Sein. Nur wer genug hatte, genug aß und das, was er gesammelt hatte, auch noch tauschen und damit seine Besitzstandspalette ausweiten konnte, der überlebte. Das hat sich über Jahrtausende festgesetzt im Gehirn. Und diese manifestierten Strukturen sind nicht von heute auf morgen wieder zu canceln. Biologisch gesehen ist das völlig unmöglich, sagt Eva Tenzer. Auch dann noch, wenn Konsum – wie heute – oft negativ konnotiert ist.

Wer damals, zu Beginn des Konsumzeitalters, gut im Futter stand, fühlte sich gut, und bei dem wurde das Glückshormon Dopamin ausgeschüttet. Auch das hat sich bis heute nicht geändert. Dopamin ist nicht mehr wegzudenken aus dem biochemischen Cocktail im menschlichen Körper. Und wer nach einer langen Jagd konsumieren, also essen konnte, fühlte sich belohnt. Auch diese Phänomen wird heute jeder kennen.

Aber was, wenn Konsum nicht mehr allein zum Überleben da ist, sondern krankhafte Züge annimmt? Wenn Leute kaufen und kaufen und kaufen, obwohl sie schon sechs Toaster haben? Wenn sie schon nicht mehr wissen, wohin mit dem ganzen Kram? Und wenn sie sich durch ihre Schnäppchentouren finanziell und sozial ruinieren? Auf diese existenziellen Fragen geht das Buch leider nicht ein. Stattdessen behauptet es standhaft, Kaufzwang sei nicht krankhaft. Dabei gibt es für die Shoppingekstase in pathologischer Ausprägung bereits einen Fachbegriff: Oniomanie.

Experten schätzen, dass in Deutschland etwa 500 000 Menschen an dem Zwang leiden, unbedingt etwas kaufen zu müssen. Sie sind besessen davon und grapschen unkontrolliert nach allem, was sie finden, nicht brauchen und auch gar nicht wollen. Inzwischen gibt es sogar eine Pille dagegen: Nalfeme kommt aus den USA und soll bei sechs von zehn Probanden Erfolg haben. Ursprünglich wurde das Medikament gegen Alkoholismus entwickelt, aber die Wirkung soll dieselbe sein: der drogenähnliche Rausch wird eingedämmt. Und die Uniklinik Erlangen bietet seit einem Jahr Gruppentherapien gegen Kaufsucht an. Von den Betroffenen, die einmal in der Woche in die neunzigminütige Sprechstunde gehen, kommt etwa die Hälfte als geheilt wieder heraus. Übrigens: 90 Prozent der Kursteilnehmer sind Frauen. Als Alternative wird Sport empfohlen.

Aber dafür ist Eva Tenzer an anderer Stelle recht kühn. Konsumieren kann die Welt retten, sagt sie. Wenn man nur richtig einkauft, dämpft man den Klimawandel, bekämpft die Armut und schützt sich vor Allergien. Im Klartext heißt das: Wer sein Geld in ökologisch und ethisch »saubere« Artikel steckt, der tut etwas für die Dritte Welt, die Atmosphäre und die eigene Gesundheit. Im Grunde aber ist dies das Diktum der Grünen. Die beten seit Jahrzehnten das Mantra von der notwendigen Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie her. Wirtschaftswissenschaftler haben sich meist lachend abgewandt: Die beiden Ökos schließen sich gegenseitig aus, sagen sie.

Doch jetzt, wo die Welt tatsächlich unterzugehen droht, bildet sich ein neues Konsumbewusstsein heraus: Kaufen und gleichzeitig retten. Den Regenwald, die indischen Kinder, die eigene Haut. Aus den verachteten Ökospinnern ist eine breite, gesellschaftsfähige Schicht gewachsen: die sogenannten Lohas, die einen Lebensstil pflegen, der sich an Umweltbewusstsein, Gesundheit und Nachhaltigkeit orientiert. Lohas heißt denn auch schlicht: Lifestyle of Health and Sustainability. Laut Bundesumweltamt kauft inzwischen etwa die Hälfte der Bundesbürger verstärkt in Bioläden ein. Im Jahr 2000 betrug die Zahl der Bioverbraucher noch 28 Prozent. Bio ist zum Riesenmarkt geworden, inzwischen gibt es ja sogar eine Umwelt- und eine Ethikbank.

Doch Öko ist teuer, und selbst der Mittelstand und die bürgerliche Mitte greifen inzwischen überlegter zu. Der neue Trend ist Klasse statt Masse. An dieser Stelle schließt sich der Evolutionskreis wieder: Konsum ist Luxus, und wer den hat, der stellt was dar.

All das würde nicht ganz so gut funktionieren, würde die Werbeindustrie nicht Milliarden in die öffentliche Präsentation der bunten Warenwelt stecken. In Deutschland werden zurzeit etwa 50 000 Marken beworben, jedes Jahr kommen 20 000 neue Artikel auf den Markt. Es gibt riesige Forschungsabteilungen, in denen Werbestrategen haargenau erkunden, was beim Kunden am besten ankommt und worauf sich zuerst das Auge einlässt und dann das Herz. Und so passiert es beispielsweise, dass Autos fast immer mit leicht bekleideten und wahnsinnig gut aussehenden Frauen angeboten werden. Was die körperlich leichten Dinger mit schweren Maschinen zu tun haben, fragen sich schon lange viele (Frauen). Die Antwort ist einfach: Männer reagieren garantiert und vor allem schnell auf offene, weibliche Reize, und die meisten Männer wollen ein Auto. Die Verbindung von schicker Frau und schickem Auto stellt für sie eine perfekte Kombination dar. Es ist wie Sex auf dem Beifahrersitz. Die Verkaufszahlen in der Mobilbranche zeigen es deutlich: Immer wenn sich lange, nackte Beine auf die Kühlerhaube schwingen, werden mehr Autos dieser Marke verkauft.

Eva Tenzer. Go shopping. Warum wir es einfach nicht lassen können. Gustav Kiepenheuer Verlag, Berlin, 2009. Gebunden, 306 Seiten. 19,95 €.

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