Run auf die Jungfrau von Sievernich

Marienerscheinung in Voreifel-Dorf sorgt jeden 2. Montag für eine volle Kirche

  • Ingolf Bossenz
  • Lesedauer: 2 Min.
Rund 900 so genannte Marienerscheinungen registrierte die katholische Kirche bislang, die Hälfte davon im 20. Jahrhundert. Im 21. geht es weiter: Jetzt ist Sievernich im Voreifel-Kreis Düren (Nordrhein-Westfalen) an der Reihe.
Der 450-Seelen-Ort Sievernich wächst derzeit jeden zweiten Montag im Monat auf mindestens das Doppelte seiner Einwohnerzahl. Dann nämlich soll sie den Berichten zufolge erscheinen in der kleinen Kirche der Pfarrgemeinde St. Johann-Baptist: Maria, die Mutter Jesu. Sehen kann sie freilich keiner der angereisten Gläubigen in dem brechend vollen Gotteshaus. Dies ist - nach deren eigener Darstellung - nur einer einzigen Frau vorbehalten. Sie soll Melanie heißen, in den 30ern sein und gegenüber den Medien äußerste Zurückhaltung üben. Nach Aussage von Dorfbewohnern soll sie »nicht von hier« sein. Nicht von hier ist auch die Erscheinung, die der Frau seit Herbst vergangenen Jahres angeblich während ihrer Andachten vor dem Altar der Backsteinkirche regelmäßig zuteil wird. Die heiligen Botschaften, so heißt es, die eine schwebende und sprechende Maria der als tief gläubig geltenden Melanie offenbare, enthielten Appelle zu Gebet und Frieden. Inwieweit dem Frieden auch die kirchliche Obrigkeit traut, ist indes unklar. Der Beauftragte für Religions- und Weltanschauungsfragen des Bistums Aachen, Hermann-Josef Beckers, hält sich zumindest bedeckt. Ob die Erscheinung wahr sei, könne man nicht sagen. Dies werde zur Zeit auch nicht geprüft. Allerdings nehme das Bistum die Schilderungen über die angeblichen Marienerscheinungen ernst, so Beckers. Die Frau ist seiner Aussage nach glaubwürdig. Verwundert über das Wunder ist er indes nicht, denn die Inhalte der so genannten Privatoffenbarung seien keineswegs neu und entsprächen durchaus den kirchlichen Lehren. In der Tat: Marienerscheinungen, wie sie aus La Salette (Frankreich), Fatima (Portugal), Medjugorje (Bosnien-Herzegowina), Conyers (Georgia/USA) und anderen Orten bekannt wurden, rufen die Menschen meist zu Umkehr, Nächstenliebe, Frieden, Selbstaufopferung und religiöser Hinwendung auf, aber auch zu kirchlicher und politischer Kurskorrektur, die zum Weltfrieden führen soll. Die angeblichen Erscheinungen laufen in aller Regel nach demselben Muster ab: Eine oder mehrere Personen, häufig Kinder oder Jugendliche, erblicken die von hellem strahlenden Licht umflorte Gestalt der Madonna, die einen blauen oder weißen Umhang trägt. Zu den bekanntesten Marienerscheinungen gehört zweifellos die von Guadalupe in Mexiko 1531, worauf sich ein Kult gründete, der bis heute alljährlich Millionen Gläubige in die Wallfahrtsstätte bei Mexiko-Stadt reisen lässt. Auch Papst Johannes Paul II., ein ausgewiesener Anhänger der Marienverehrung, weilte bereits vier Mal dort. Und er plant, ungeachtet seines bedenklichen Gesundheitszustandes, für dieses Jahr eine fünfte Mexiko-Reise, auf der er mit Sicherheit auch wieder der Jungfrau von Guadalupe huldigen wird. Eine Ehre, von der Sievernich bislang nur träumen kann.

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