Diskretion statt Provokation

Das Schwule Museum beleuchtet die Geschichte der Homophilen Welt-Organisation

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn Schwule und Lesben heute weltweit den Christopher Street Day feiern, darf darüber nicht vergessen werden, dass Homosexualität noch nicht lange liberalisiert ist. Vom Anfang, vom Widerstreit auch der Strategien berichtet eine Ausstellung im Schwulen Museum. »Gegen Einsamkeit und Einsiedelei« illustriert mit vielerlei Material die »Geschichte der Internationalen Homophilen Welt-Organisation (IHWO)«. Während in der DDR der § 175 in der Form aus der Weimarer Republik praktiziert wurde, galt in der BRD bis 1969 die von den Nazis verschärfte Fassung. Erst 1994, lange nach anderen europäischen Staaten, strich man auch in der Bundesrepublik ersatzlos jenen Paragrafen, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte. Eine der ersten Organisationen, die sich nach 1969 aktiv für die Tilgung einsetzte, war die IHWO.

Gegründet hatten sie um 1952 in Dänemark die Lebenspartner Axel Lundahl Madsen und Eigil Eskildsen. Anfangs vermittelte sie private Kontakte, vertrieb homoerotisches Bildmaterial und Bücher. Bisweilen firmierte sie unter dem neutralen Namen International Hobbyclubs World Organisation, denn auch in Dänemark waren derartige Aktivitäten verboten. Homosexuelle mussten sich kastrieren lassen, klagt der Redakteur des ersten Homophilen-Blatts, wollten sie aus der »Psychopathen-Verwahranstalt« entlassen werden.

Vorgänger des IHWO war eine nach Schweizer und niederländischem Vorbild formierte nationale Vereinigung von 1948, die regen Zulauf hatte, Anfang 1951 schon 1339 Mitglieder, über ein eigenes Clublokal verfügte und auch jenes Blatt herausgab. Das machte Schule in ganz Skandinavien – und rief Kopenhagens Polizeichef auf den Plan. Er publizierte wider die Homosexualität, führte Razzien durch, richtete mit der »Onaniepatrouille« eine Sonderabteilung der Sittenpolizei ein. Ende 1955 erwirkte er eine Durchsuchung im Firmensitz des Freundespaars mit Beschlagnahme ihrer Kundenkartei. Die Presse konstruierte eine »große Pornografie-Affäre« aus dem Vorgang, was angesichts der in der Ausstellung gezeigten Nacktfotos absurd ist. Etwa 80 Verhöre und Verhaftungen soll es gegeben haben, bis zu 70 Suizide. Madsen und Eskildsen mussten ins Gefängnis, nahmen danach den Ehenamen Axgil an, kamen indes nie ganz frei von dem Vorwurf, die »Affäre« verschuldet zu haben.

Ein Anwesen außerhalb der Stadt wurde ihr neues Zuhause, Sitz des IHWO, Pension mit Fotostudio und Druckerei. Zu den Gästen zählten auch die Gründer des Hamburger Kreises UNI, aus dem 1969 die deutsche IHWO hervorging. Zwei Kongresse beriefen die Axgils ein, leisten über ihre Firmengelder individuelle Hilfe, gaben mehrsprachig die Zeitschrift UNI heraus, begünstigt durch die Freigabe von Pornografie in Dänemark 1967. 16 000 Mitglieder soll die IHWO damals gehabt haben, erwirkte in einem Brief an Kanzler Brandt, dass Sendungen an deutsche Kunden künftig nicht mehr beschlagnahmt wurden.

Indes änderte sich die Zeit. Hatte sich die Hamburger IHWO gediegener Clubatmosphäre verschrieben und damit ihre Erfolge, betraten mit Rosa von Praunheim, seinem Film »Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt« und einem studentischen Umfeld radikalere Kräfte die Szene. Schwule Befreiung forderten sie statt bürgerlichem Edelambiente für Auserlesene. Die irritierte IHWO Hamburg geriet so 1974 ins Abseits.

Bis Frühjahr 2010, Schwules Museum, Mehringdamm 61, Infos unter www.schwulesmuseum.de

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