Süßes aus dem Kupferkessel
In Berlins einziger Bonbonmacherei entstehen Leckereien wie vor 100 Jahren
Wer seiner Nase vertraut, kommt auch an – dem süßen Duft folgend, der sehr intensiv ist, ja fast schon ein bisschen aufdringlich. Aber diese besondere Kombination weckt angenehme Erinnerungen an die Kindheit. Wahrscheinlich haben deshalb die meisten Menschen schon bevor sie den kleinen Laden im Touristenviertel an der Oranienburger Straße betreten ein Lächeln im Gesicht.
Ein breiter Kupferkessel steht auf dem Feuer und große Blubberblasen drücken sich nach oben. Als wenn ein heißer Wirbelsturm die Flüssigkeit in Bewegung setzt. Hjalmar Stecher beobachtet das Gemisch aus gut 16 Kilogramm Zucker, Glukosesirup und Wasser ganz genau. Bis auf 150 Grad hat er die Zutaten zum Brodeln gebracht. Und nun ist Schluss: Der Bonbonmacher dreht die Flamme des Gasofens etwas kleiner, hebt den Deckel vom Kessel und gießt langsam eine dunkelblaue Flüssigkeit in den kochenden Brei. Diesmal gibt es »Bosnische Pflaumenbonbons«.
Ein gutes Dutzend Neugierige hat sich in dem hell eingerichteten Laden vor der Schauküche versammelt und beobachtet die Herstellung der Nascherei. Hjalmar Stecher, der vor zehn Jahren das Handwerk von einem Freund aus Braunschweig erlernte, trägt jetzt schneeweiße Handschuhe und schüttet den zähen Brei auf einen langen Stahltisch. Die Flüssigkeit sucht sich ihren Weg und zerfließt zu einem glänzenden See. Metallstäbe begrenzen den Verlauf, so dass Stecher in Ruhe etwas Zitronensäure und Pflaumen-Aroma dazu gibt. Dann schiebt er den Teig mit dem Spachtel immer von neuem zusammen, bis der Bonbonberg zäh wie Knete wird. Längst hat Stecher seine Handschuhe abgelegt, denn nur mit den nackten Fingern fühlt er, wann die Masse die richtige Konsistenz besitzt. Eine große, helle Lederdecke knallt auf den Tisch und sorgt dafür, dass der Teig nicht zu schnell auskühlt.
»Wer will mal probieren«, fragt der Bonbonmacher die Besucher. Natürlich möchten alle. Er rollt ein wenig Teig zu einem dünnen Rohling und schneidet kleine, blaue Stückchen davon ab. »Mmmmmmh« summt es durch den Raum und Katja Kolbe, die gemeinsam mit Stecher die Firma betreibt, steht hinter dem Ladentisch und freut sich über ihren Partner.
Auch für den 45-jährigen Süßwaren-Hersteller sind das die Momente, die ihn an seinem Job am meisten faszinieren: »Das Lächeln der Erwachsenen, wenn sie sich durch den Geschmack und den Geruch an ihre Kindheit erinnern.«
Jetzt ist der Zeitpunkt, der blauen Masse die richtige Form zu geben. Stecher trennt mehrere Klumpen vom Teig, schiebt sie durch uralte Prägewalzen und erhält meterlange Bänder mit Pflaumenmotiven. Damit die Struktur der Früchte deutlicher sichtbar wird, drehen die süßen Stücke in einem kupferfarbenen Mischer noch ihre Runden.
Wieder verteilt der Bonbonmacher an die Zuschauer ein paar handwarme Exemplare. Hjalmar Stecher selbst nascht am liebsten seine neuen Sorten: Pina Colada und Rhabarber Vanille.
Aus mehr als 30 verschiedenen Geschmacksrichtungen können die Kunden wählen: Dazu gehören die saure Mischung, die Berliner Waldmeisterblätter, Brustkaramellen mit Fenchelöl, Cachouwürfel mit Anis oder Feuerhimbeere. Zur Weihnachtszeit gibt es auch Glühwein-Bonbons. Nicht nur die Maschinen aus Großmutters Zeit haben Katja Kolbe und Hjalmar Stecher vom Braunschweiger Unternehmen übernommen, sondern auch viele historische Rezepte. »Hin und wieder kreiere ich auch mal eine neue Sorte, wie Rhabarber-Vanille beispielsweise«, sagt Stecher. Einen Tipp gibt er seinen Besuchern noch mit auf den Weg: So sei es ganz wichtig, die Bonbons trocken zu lagern, am besten in einem Schraubglas. »Noch besser, sie werden schnell verzehrt.«
Bonbonmacherei, Heckmann Höfe, Oranienburger Straße 32, 10117 Berlin.
Öffnungszeiten: Immer mittwochs bis sonnabends von 12 bis 20 Uhr. Nach der Weihnachtspause wieder ab 13.01. 2010, im Web: www.bonbonmacherei.de.
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