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Das schmerzt jeden S-Bahner

Betriebsratsvorsitzender Heiner Wegner über Ursachen und Konsequenzen

  • Lesedauer: 6 Min.
Heiner Wegner hat S-Bahn von der Pike auf gelernt. 1972 begann er in dem Unternehmen, das damals noch zur Deutschen Reichsbahn gehörte, eine Lehre als Fahrzeugschlosser, später war er auch als Lokführer und Disponent tätig. 2006 wurde er zum Vorsitzenden des Betriebsrates gewählt.
Heiner Wegner hat S-Bahn von der Pike auf gelernt. 1972 begann er in dem Unternehmen, das damals noch zur Deutschen Reichsbahn gehörte, eine Lehre als Fahrzeugschlosser, später war er auch als Lokführer und Disponent tätig. 2006 wurde er zum Vorsitzenden des Betriebsrates gewählt.

ND: Wie sind Sie heute in Ihr Büro gekommen?
Wegner: Da ich in Weißensee wohne, komme ich mit der Straßenbahn. Das geht ohne Umsteigen. Ansonsten fahre ich S-Bahn.

Sie haben dann keine Angst, Ihre Termine zu verpassen?
Ich kenne mich im S-Bahn-Netz aus und ich weiß, wann welche S-Bahnen fahren. Ich habe weiter Vertrauen zu dem System.

Viele Fahrgäste nicht mehr.
Das kann ich verstehen. Aber ich weiß, was meine Kollegen leisten. An ihnen lag es nicht, dass es zu diesem Chaos kam.

Haben Sie so etwas Ähnliches schon mal erlebt?
Nein, ich hätte es ich mir auch in meinen schlimmsten Träumen nicht vorstellen können, dass die Berliner S-Bahn, eigentlich die Lebensader dieser Stadt, mal so den Bach runtergehen würde. Das schmerzt jeden S-Bahner.

Wo liegen die Ursachen?
In den völlig überzogenen Renditeforderungen des Bahnkonzerns an die S-Bahn. Als sie in den 90er Jahren noch eine relative Selbstständigkeit hatte, konnte sie mit ihren Ressourcen eigenverantwortlich wirtschaften. Sie hat auch Gewinn an den Konzern abgeführt, aber nicht in dieser Größenordnung, wie es dann im Endeffekt von Bahnchef Hartmut Mehdorn eingefordert wurde. 125 Millionen Euro waren für nächstes Jahr eingeplant, nach neun Millionen 2005. Ein Irrsinn, aber die Bahn wollte sich fit machen für den Börsengang. Wir haben von der Konzernspitze Ausgabenstopps in Größenordnungen verhängt bekommen. Das ging so weit, dass Büromaterialien im Wert von mehr als 50 Euro vom Konzernbereich Stadtverkehr genehmigt werden mussten. Und der musste wiederum die Genehmigung von DB Regio einholen. So würden sie keinen Haushalt führen. Das war ein Disziplinierungsprozess.

Um keinen Ärger zu bekommen, hat man erst gar keine Investitionen beantragt?
Ja. Das Ganze nannte sich »Projekt X: Optimierung S-Bahnen«. Weil sich die damalige Geschäftsführung unter Leitung des ausgewiesenen Experten Günter Ruppert dagegen wehrte, wurde 2005 Ulrich Thon gegen den Willen der Arbeitnehmervertreter als neuer Chef installiert. Er sollte das durchsetzen.

Die Theorie lautete: Weniger Fahrzeuge brauchen weniger Wartung.
Die Fahrzeugreserve wurde reduziert, statt 1400 Wagen gibt es heute nur noch rund 1260. Die Kosten für die Wartung und Instandhaltung wurden um mehr als 30 Prozent reduziert, was logischerweise auch einen Personalabbau nach sich zog. Allein in der Instandhaltung haben wir heute 350 Mitarbeiter weniger. Damit blieben dann Qualität und Zuverlässigkeit auf der Strecke. Als erstes wurde die Werkstatt in Bernau geschlossen, dann die in Erkner und 2006 Friedrichsfelde. Da war uns klar, dass wir große Probleme haben werden, überhaupt die Wartungs- und Fristenintervalle einhalten zu können. Zunächst mussten die Fahrzeuge alle sieben Tage zur Wartung, dann alle 14, und dann wurde auch dies nicht mehr eingehalten.

Wie hat der Betriebsrat reagiert?
Die Mitarbeiter haben uns deutlich gesagt, dass es so nicht weiter geht. Der Betriebsrat hat schon im Herbst 2008 auf die Probleme hingewiesen. Die Geschäftsführung hat uns daraufhin unterstellt, wir diskreditierten die Arbeit der Mitarbeiter.

Die im Sommer eingesetzte neue Geschäftsführung schwenkt jetzt um und will neue Werkstattkapazitäten schaffen, die Werkstatt Friedrichsfelde wieder öffnen. Eine Genugtuung für Sie?
Nein, wir bauen ja lediglich das wieder auf, was wir vor Jahren hatten, ein funktionierendes S-Bahn-System. Das neue Instandhaltungskonzept ist erst einmal der richtige Weg. Wir müssen dann sehen, ob es ausreichend ist.

Wie schnell könnte Friedrichsfelde wieder in Betrieb gehen?
Ab Morgen. Im Grunde genommen bräuchten wir nur die Tore zu öffnen und wieder reinzufahren. Dass viele Rahmenbedingungen erst wieder hergestellt werden müssen, um einen kompletten Betrieb gewährleisten zu können, ist aber klar.

Das Eisenbahnbundesamt hat gedroht, der S-Bahn die Betriebserlaubnis zu entziehen, sollte sie im nächsten Jahr keinen sicheren Betrieb gewährleisten.
Ich sehe das nicht als Drohung, sondern als Chance zu Bewährung. Wir werden beweisen, dass wir es können. Das erwartet auch der Senat von uns genauso wie jeder Berliner.

Wann also wird die S-Bahn wieder zum Normalbetrieb zurückkehren können?
Das kommt darauf an, ob der Konzern bereit ist, kurzfristig in die S-Bahn sehr große Summen – zum Beispiel die Millionen, die in den vergangenen Jahren als Gewinn herausgezogen wurden – zu investieren, um Werkstattkapazitäten zu erschließen, Mitarbeiter einzustellen und zu qualifizieren. Wenn da nicht wieder ein Riegel vorgeschoben wird, können wir Ende nächsten Jahres wieder einen stabilen Betriebsablauf anbieten.

Von der Konzernspitze war schon zu hören, dass es noch drei bis vier Jahre dauern könnte.
Das hat man inzwischen ja revidiert. Dies wäre auch einer Kapitulationserklärung gleichgekommen. Das Problem ist, dass immer noch Leute an der Konzernspitze stehen, die uns ab 2003 die Vorgaben für die Millionenabführungen der S-Bahn an den Konzern gemacht haben. Die müssen jetzt eine 180-Grad-Wendung machen.

Heißt das, die personellen Konsequenzen reichen noch nicht aus?
Ja.

Man hat den Eindruck, die Berliner reagieren relativ gelassen auf die Krise.
Das täuscht. Die S-Bahn hat an Zuspruch verloren. Sie können sich nicht vorstellen, wie viel Frust und Aggressivität meine Kollegen täglich erfahren, sei es am Kundentelefon, am Fahrkartenschalter oder auf dem Bahnsteig. Die Folge: Der Krankenstand liegt fast bei acht Prozent.

Auch der Senat hat offenbar das Vertrauen verloren und denkt über den Kauf der S-Bahn oder die Ausschreibung ihrer Leistungen nach.
Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. S-Bahner sind Eisenbahner. Wenn der Konzern aber seiner Verantwortung nicht gerecht wird, dann muss er sich überlegen, wie er gewährleistet, dass die S-Bahn funktioniert. Und wenn der Senat zur Erkenntnis kommt, das gehe nur mit einer Übernahme der S-Bahn, müssten wir das akzeptieren. Wie unser Arbeitgeber im Endeffekt heißt, ist für mich zweitrangig. Da ist auch die Bundesregierung gefragt. Aber der Konzern hat sich unter Mehdorn derart verselbstständigt, dass die Politik überhaupt nicht mehr in der Lage ist, vernünftigen Einfluss auszuüben.

Die zweite Variante ist die Ausschreibung der S-Bahn-Leistung.
Das lehnen wir ab. Eine Ausschreibung wird immer über die Einkommen der Mitarbeiter entschieden, das bedeutet Lohndumping. Und es käme einer Zerschlagung der S-Bahn gleich. Ihr Netz ist viel zu sehr verflochten. Sobald verschiedene Betreiber auf den Schienen der S-Bahn fahren, ist das gesamte System gefährdet.

Gespräch: Bernd Kammer

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