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Nicht nur schnodderig

Die Hauptstadt und ihre Bewohner im Spiegel von Statistik, Analysen und Studien

  • Rainer Funke
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Berliner ist ein ganz gewöhnlicher Mensch. Auch wenn er manchmal anders tut. Und es gelegentlich auch anders scheint, wenn er kodderig und schnodderig über Gott und die Welt redet und urteilt. Gerät der Hauptstädter in die Fänge der Statistik, weicht sein schwer zu übertreffendes Ego dem Durchschnitt, dem sich bundesweit jedermann stellen muss.

Da fällt erst mal auf, dass des Berliners ganz persönliche Wünsche für das bevorstehende Jahr sich denen der anderen Bundesvölker durchaus ähneln: 58 Prozent der Hauptstädter haben sich vorgenommen, Stress zu vermeiden oder abzubauen (bundesweit 59 Prozent). 57 Prozent wollen sich stärker der Familie/Freunden widmen (51), 57 Prozent häufiger Sport treiben (50), 51 Prozent mehr sich selbst widmen (47), 45 Prozent sich gesünder ernähren (45). 39 Prozent streben an, abzunehmen (34), jeder Dritte, sparsam zu sein (32), 18 Prozent, weniger fernzusehen (19). Gut jeder Zehnte bzw. knapp jeder Achte haben sich geschworen, den Alkoholkonsum zu verringern (13) und sich endlich das Rauchen abzugewöhnen (12).

Gelegentlich fällt der Berliner auch aus dem Durchschnitt heraus. 28 Prozent der Beschäftigten sind in Einrichtungen der Kultur, der Gesundheit, der wissensintensiven Dienstleistungen, der Bildung und der Forschung daheim. Das gibt es so nirgendwo in deutschen Landen. Vor allem in der sogenannten Neuen Mitte »ballen sich Kreative mit risikofreudiger Mentalität, die sich als ausgesprochene Berlin-Fans erweisen«, stellte eine Hertie-Studie fest.

Mit dem Durchschnitt gibt sich der Berliner auch nicht bei den Krankentagen zufrieden. Mit 20,2 in diesem Jahr entpuppte er sich als der bundesweit kränkste Mensch, lag 4,3 Tage mehr als andere Bürger im Bette. Am häufigsten streikten Muskeln, Skelett, Bindegewebe, Atmung und Psyche. Für Gerüchte, nach denen dies auf die Sozialpolitik des rot-roten Senates zurückzuführen wäre, haben Opposition und Krankenkassen bislang aber keine handfesten Belege liefern können.

Keine Frage: Ebenfalls bei der Gewalt im öffentlichen Nahverkehr liegt die Stadt weit vorn – statistisch wurden zwei Übergriffe pro Tag gegenüber Mitarbeitern der Verkehrsbetriebe öffentlich. Und immerhin wurde bekannt, dass die Hüter der Ordnung dieses Jahr rund zwei Millionen Knöllchen wegen Falschparkens geschrieben haben sollen, was zu einem Ertrag von rund 20 Millionen Euro geführt haben soll. Ein Rekord im deutschen Städtewald. Dafür hat Berlin – gemessen an Mietfahrzeugen – eine auffallend schlechte Schadensbilanz, kommt nur auf den letzten Platz bei neun analysierten Städten – gleich hinter München. Die besten Werte hatte Frankfurt am Main. Nichtsdestotrotz verfügt die Hauptstadt nach Ansicht der Bundesbürger mit dem Brandenburger Tor über die zweitbeliebteste Sehenswürdigkeit hinter dem Kölner Dom.

Nirgendwo halten sich derart viele Angehörige diplomatischer Vertretungen auf wie in der Hauptstadt. Was sollten sie auch in Bonn oder Warnemünde. Sie sind in Berlin mit immerhin 2880 Fahrzeugen unterwegs. Zuletzt waren sie an 55 Verkehrsunfällen beteiligt. Und begingen 8398 Verkehrsordnungswidrigkeiten, also Park- und Geschwindigkeits-Verstöße. Weil die Immunität die kleinen und die großen Diplomaten vor Strafe schützt, entgingen dem Senat hierbei immerhin 159 940 Euro. Die Liste der häufigsten Sünder führt Saudi Arabien vor Russland, Ägypten, VR China, Libyen, Iran, Polen, Frankreich und Griechenland an. Natürlich haut und klaut auch das Personal ausländischer Vertretungen. Über die Details allerdings schweigt die diplomatische Höflichkeit der Innenverwaltung.

Nach Studien des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg, der KKH-Allianz, der Hertie-Stiftung, der DAK, Tourismusverband, Europcar, Berlins Innensenat.

  • 45 Prozent der Berliner in beiden Teilen der Stadt meinen, man habe nichts gegeneinander, aber auch nichts miteinander zu tun.
  • Alle plagen die gleichen Sorgen: ausufernde Arbeitslosigkeit (83 Prozent), steigende Preise (77), sich verbreitende Armut (69), Kriminalität (55).
  • 70 Prozent der Einwohner raten anderen Bundesbürgern, hierher zu ziehen.
  • 40 Prozent der Migranten sind arbeitslos.
  • 19 Prozent der Einwohner ab 14 Jahre sind persönlich oder über einen Familienangehörigen von Sozialleistungen abhängig – mehr als sonst wo in der Bundesrepublik.
  • Bezogen auf 1000 Bewohner verfügen die Berliner mit 319 über die wenigsten Autos, bundesweit liegt der Schnitt bei 503.
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