Verzweifelte Lage im Erdbebengebiet

Haiti: Hunderte kubanische Ärzte helfen / Internationale Kräfte kommen schwer voran / Kritik an Staatspräsident Préval

  • Harald Neuber und Raimundo López (Prensa Latina)
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Lage in Haiti bleibt unübersichtlich. Haitianische und internationale Medien schildern immer gleiche Szenarien: Tausende Menschen bevölkern die Straßen, sich selbst überlassen, ohne Hilfe. Wichtige Nothelfer sind Hunderte kubanische Ärzte.
Der Vergleich ist krass: Die Energie von acht Hiroshima-Bomben sei bei dem Beben am Dienstagabend in Haiti freigesetzt worden, sagte ein Seismologe des Deutschen Geoforschungszentrum dem Nachrichtensender n-tv. Entsprechend sah Haitis Hauptstadt Port-au-Prince nach den Stoßwellen aus: Wohnviertel sind flächendeckend zerstört, Infrastruktur ist nicht mehr vorhanden.

Am vierten Tag nach der verheerenden Naturkatastrophe können nach wie vor nur Schätzungen über die Opferzahlen abgegeben werden. Der Präsident des deutschen Roten Kreuzes, Rudolf Seiters, geht von 50 000 Toten aus, während in der internationalen Presse schon jetzt weitaus höhere Zahlen kursieren.

In dieser Situation helfen die Menschen vor allem sich selbst. Die meisten Überlebenden wurden von Angehörigen oder Anwohnern unmittelbar nach dem Beben aus den Trümmern befreit. Diese direkte Hilfe ist ebenso verständlich wie wichtig: Nach den ersten 72 Stunden nach einer Erdbebenkatastrophe sinken die Überlebenschancen für Verschüttete rapide. Zumal in Haiti die Temperaturen tagsüber auf über 30 Grad Celsius ansteigen. Ausländische Regierungen und internationale Hilfsorganisationen liefern sich dennoch einen Wettlauf bei den Hilfsleistungen. Allen voran die USA: Washington hat Maßnahmen in Höhe von 100 Millionen US-Dollar (rund 70 Millionen Euro) zugesagt und Armeekräfte mobilisiert. Das Anrücken der US-Militärs sorgte in der Region aber auch für Kritik, zumal viele Hilfslieferungen Haiti derzeit gar nicht erreichen können. Das Beben hat den Kontrollturm des Flughafens von Port-au-Prince weitgehend zerstört und die Landebahnen beschädigt. Bis auf Weiteres könnten in der Hauptstadt keine weiteren schweren Transportflugzeuge landen, bestätigte auch die Sprecherin der US-Luftfahrtbehörde, Laura Brown.

Während die US-Soldaten und ihre massigen Transportmaschinen nicht eingesetzt werden können, leisten Hunderte kubanische Ärzte vor Ort Nothilfe. Nach Angaben der Regierung in Havanna befanden sich in dem verarmten Haiti schon vor der Katastrophe 403 Helfer aus dem sozialistischen Nachbarstaat, unter ihnen 344 Ärzte und medizinische Helfer. Das kubanische Fernsehen informierte bereits am Mittwoch über die Entsendung eines zusätzlichen Teams. Mit der Hilfsbrigade »Henry Reeve« reisten 60 Experten in das nur 77 Kilometer entfernte Haiti: Sie brachten Medikamente, Blutplasma, Serum und Nahrung. Die kubanische Nachrichtenagentur Prensa Latina berichtet von bereits 2000 Behandlungen seit dem Beben am Dienstag, darunter knapp 200 chirurgische Eingriffe. Zwei Krankenhäuser unter kubanischer Führung seien einsatzbereit, heißt es in dem Bericht weiter. »Wir arbeiten an der Entsendung weiterer medizinischer Hilfslieferungen an unsere Schwesterrepublik Haiti«, sagte Kubas Außenminister Bruno Rodríguez in einem Gespräch mit seiner Amtskollegin aus Surinam, Lygia Louis Irene Kraag-Keteldijk. Nach Rodríguez' Angaben wurden auch zwei kubanische Mediziner bei dem Beben leicht verletzt.

Angesichts der anhaltend schlechten Lage wächst auch der Unmut in der Bevölkerung. »Präsident René Préval hat bislang nicht einmal den Notstand ausgerufen«, zitiert die Deutsche Presse-Agentur eine empörte Einwohnerin in Port-au-Prince. Nach Augenzeugenberichten haben Überlebende die Leichen der Opfer aus Protest auf den Straßen aufgetürmt. Der Zusammenbruch der staatlichen Ordnung und das Unvermögen der Industriestaaten heizt schon jetzt die politische Debatte an. In einem Kommentar machte der ehemalige Staats- und Regierungschef Kubas, Fidel Castro, am Freitag die soziale Misere Haitis für das Ausmaß der Katastrophenfolgen mitverantwortlich. Kein Land der Erde sollte unter solchen Problemen leiden, wie sie in Haiti existieren, schreibt Castro: »Nun ist es Zeit, nach realen Lösungen zu suchen.«

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