Der Kompetenz eine Chance

S-Bahner warnen vor Zerschlagung und Ausschreibung von Teilstrecken

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Als Lösung zur Überwindung des Berliner S-Bahn-Chaos empfehlen Stadtpolitiker aus Regierungs- und Oppositionsparteien die Neuausschreibung und Vergabe von Teilstrecken an private Konkurrenten der Deutschen Bahn (DB). Dagegen regt sich Widerspruch – beim Fahrgastverband Pro Bahn und bei S-Bahnern selbst.

So warnt der Landesverband Berlin/Brandenburg des Fahrgastverbandes Pro Bahn vor Illusionen in andere Bahngesellschaften als Retter aus der S-Bahn-Not. »Die neu einsteigenden Eisenbahn-Verkehrsunternehmen (EVU) brauchen S-Bahn-Know How, was erst erworben werden muss – das kostet Zeit und Geld.« Neue Unternehmen müssten neue Werkstätten errichten und dazu passende Grundstücke finden. Werde der S-Bahn-Betrieb in mehrere Unternehmen zerschlagen, so sei die Reservehaltung für Bedarfsspitzen und Störungen bei drei beteiligten Unternehmen größer und dazu nicht kompatibel.

Pro Bahn lehnt auch eine Übertragung der DB-Tochter S-Bahn auf die kommunalen Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ab. Alle derartigen Modelle erzeugten »volkswirtschaftlich erhebliche Mehrkosten, die letztlich wir alle über den Fahrpreis oder über die Steuer bezahlen, ohne dass Berlin oder Deutschland einen Vorteil hätte«, warnt Pro Bahn. Bei diesen Modellen werde es »bis 2025 dauern, ehe die S-Bahn wieder normal und zuverlässig fährt, wie etwa vor neun Monaten und ohne Vertrag auch seit über 50 Jahren«. Bei der Berliner S-Bahn müsse »alles in eine Hand, inklusive Netz, Strom und Wagen. Und diese Hand muss die öffentliche Hand sein«, fordert der Verband. Nur so könne Daseinsvorsorge und demokratische Kontrolle gewährleistet sein. Das Know How sei vor Ort bereits vorhanden.

In die gleiche Kerbe schlägt S-Bahn-Betriebsrat Peter Polke. »Der Kompetenz eine Chance – Lasst endlich uns S-Bahner ran«, fordert er. Als Mitglied der Bahngewerkschaft Transnet warnte Polke schon vor Jahren vor den negativen Folgen der Börsen- und Renditeorientierung der DB für die S-Bahn. Als Delegierter auf dem Transnet-Gewerkschaftstag 2008 hatte er – damals als einziger – den Kahlschlag bei der Berlin S-Bahn und die Präsenz verantwortlicher S-Bahn-Spitzenmanager als Ehrengäste kritisiert.

Wie viele S-Bahner befürchtet Lokführer Polke Tarifdumping und Arbeitsplatzverlust als Folge einer Herauslösung der S-Bahn aus dem DB-Konzern. »Wir wollen nicht vom Regen in die Traufe geraten und uns statt Pest die Cholera einhandeln«, warnt er die Politik: »Eine Besserung der Zustände im Berliner S-Bahn-Verkehr kommt nicht von renditehungrigen Konzernzentralen in Sydney, Paris oder Hamburg.« Vielmehr wüssten die Arbeiter, Angestellten, Techniker und Ingenieure selbst, wie eine sichere S-Bahn funktioniert: »Wir sind die Fachkräfte aus den eigenen Werkstätten und Betriebsteilen mit dem notwendigen Know How. Sie lassen es uns nur nicht machen«, gibt er die Stimmung wieder.

Betriebsrat Polke fordert »den Berliner Senat und die ihn tragenden Arbeiterparteien SPD und LINKE auf, sich gemeinsam mit den S-Bahnern für einen ganzheitlichen öffentlichen Betrieb aus einer S-Bahn-Hand einzusetzen«. Beide Parteien lehnten im Bund zu Recht die Privatisierung und Zerschlagung der Bahn ab. »Dies muss auch für Berlin und die S-Bahn gelten«, fordert Polke, der vom DGB Unterstützung erhofft.

Ein »Kumpanei« der Regierungsparteien »mit privaten Konzernen, die sich nur eine goldene Nase verdienen wollen«, dürfe es nicht geben. Bei der S-Bahn müsse der Auftrag zur »Optimierung« zurückgenommen und die Produktionsplanung wieder »auf den Stand des Jahres 2004 gesetzt werden«, so der Gewerkschafter. Ausgliederungen und Personalkahlschlag müssten voll zurückgenommen werden.

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