Merkel spart mit Wachstum

Bundestag stritt über Haushalt 2010 / Sparzwänge werfen ihren Schatten voraus

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Rund 90 Tage sind seit dem Amtseid von Bundeskanzlerin Angela Merkel vergangen. Die übliche 100-Tage-Schonfrist für jede neue Regierung ist am Mittwoch vorfristig beendet worden. In der Generalaussprache des Bundestages zum Haushalt 2010 ließ die Opposition kein gutes Haar an der schwarz-gelben Koalition.

Berlin (ND-Kalbe). Die Lage ist schwierig, auch die Haushaltslage. Es mangelte daher nicht an Formulierungen mit dem Anstrich des Historischen. Einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um fünf Prozent hat es in einem Nachkriegsdeutschland bisher nicht gegeben, die Wirtschafts- und Finanzkrise ist noch nicht überstanden und könnte mit ihren Ausläufern auf dem Arbeitsmarkt noch verheerende Wirkungen haben. Vor dem Abgrund habe die Politik der letzten Monate Deutschland gerettet, so Bundeskanzlerin Angela Merkel, und die Gefahr sei noch nicht vorüber. »Neues Denken« forderte sie unter diesen Bedingungen, um der Probleme Herr zu werden. »Freiheit in Verantwortung« und »Vertrauen in den Einzelnen« waren die geistig-moralischen Botschaften, die sie namens Schwarz-Gelb dem Volk sandte. Wachstum durch Steuerschenkungen und Konsolidierung zugleich, das ist der Januskopf, den sie der Opposition als Antlitz der neuen, der Wunschkoalition präsentierte.

Die Opposition ließ die Gelegenheit zur Generalkritik nicht ungenutzt. Schuldenbremse und Steuerminderungen, das von der Koalition bevorzugte Mittel zur Wachstumsstimulierung – beide bilden nach Ansicht von SPD, LINKEN und Grünen ein unvereinbares Paar, wie nicht nur aus den Worten der Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier, Gregor Gysi und Renate Künast hervorging, sondern auch aus erbosten Zwischenrufen der Oppositionsfraktionen im Plenum. Wachstum und Haushaltskonsolidierung gemeinsam – das zu schaffen, »sind offenbar nur wir in der jetzigen Koalition fähig«, meinte dagegen süffisant die Kanzlerin. Das doppelte Ziel ist für Angela Merkel kein unvereinbares. Schließlich seien Wirtschaftseinbruch und Rekordverschuldung ebenfalls zwei Seiten einer Medaille. Wer den Zusammenhang nicht sieht, so Merkel, der braucht an dieser Debatte gar nicht teilzunehmen.

Steinmeier sagte der Regierung noch für dieses Jahr die »bittere Erfahrung« des eigenen Scheiterns voraus. Dies werde eintreten, wenn die Menschen merkten, dass sie von der schwarz-gelben Koalition hinters Licht geführt wurden. Steinmeier bezog seine Prognose auf den erwarteten Anstieg der Arbeitslosigkeit. Diesem zu begegnen, besäße das Merkel-Kabinett keine Rezepte. Renate Künast erweiterte den Vorwurf: Ohne Werte, ohne Ziel, ohne Plan und ohne Mut präsentiere sich die Koalition. Den Haushaltsentwurf nannte sie ein »Armutszeugnis auf dem Rücken von Familien, Kindern und Kommunen«.

Gregor Gysi erneuerte die Forderung nach einem Verbot von Unternehmensspenden an die Politik. Nicht die öffentliche Benennung der Spendenpraxis gefährde die parlamentarische Demokratie, wie von Regierungsseite behauptet, sondern der Lobbyismus selbst. Dieser setze sich darin fort, dass die Abgesandten der Wirtschaft Gesetzentwürfe zur Wirtschaftspolitik schreiben. »Wozu bezahlen wir Beamte, wenn die nicht mal mehr einen Gesetzentwurf schreiben dürfen?« Auf Gysis Kritik stieß zudem die Debatte um die Hartz IV-Überprüfung der letzten Tage. Hessens Ministerpräsident Roland Koch hatte eine generelle Arbeitspflicht für Betroffene gefordert, was breiten Unmut hervorrief.

Merkel sowie weitere Vertreter der Koalition beeilten sich am Mittwoch zu versichern, dass an eine Gesetzesverschärfung nicht gedacht sei. Merkel: »Ich glaube, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen, was den Zwang oder die Aufgabe oder die Notwendigkeit der Arbeitsaufnahme anbelangt, ausreichend sind.«

Die angekündigte Überprüfung der Arbeitsmarktpolitik jedoch hält Befürchtungen der Betroffenen wach. Gysi ließ an den angeblich segensreichen Wirkungen der Hartz-Reformen denn auch keinen guten Faden. Minijobs, Mehrfachbeschäftigung, befristete Beschäftigung, anwachsender Niedriglohnsektor – die Reformen hätten die Probleme nicht gelöst, sondern verschärft.

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