Mathematik der Affen

Wie einzelne Hirnzellen Rechenregeln kodieren

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.

Der korrekte Umgang mit Zahlen und Mengen ist eine wichtige Voraussetzung für ein umweltgerechtes Verhalten. Das gilt namentlich für Menschen, aber auch für zahlreiche Tiere. So haben Forscher im Experiment nachgewiesen, dass Hunde bis fünf zählen und Fehler in einfachen Additionsaufgaben feststellen können. Delfine, Pferde und Vögel verfügen ebenfalls über erste Ansätze eines Zahlenverständnisses. Bereits in den 1930er Jahren brachte der deutsche Verhaltensbiologe Otto Koehler einem Raben bei, nur eine bestimmte Anzahl von Samenkörnern zu verzehren und dann aufzuhören. Allerdings war das arithmetische Unterscheidungsvermögen des Raben nach oben begrenzt und endete bei sieben. Nicht zuletzt »wissen« auch Ratten in einer Skinner-Box genau, wie oft sie einen Hebel drücken müssen, um an Futter zu gelangen.

Apropos Futter. Tiere, die entscheiden können, welche von zwei Mengen die größere ist, besitzen zweifellos einen Überlebensvorteil, indem sie zum Beispiel gezielt die ergiebigste Futterquelle für sich nutzen. Besonders ausgeprägt sind mathematische Fähigkeiten bei den Affen. Denn als sozial lebende Tiere müssen sie, etwa wenn sie angegriffen werden, blitzschnell erkennen, ob die angreifende Gruppe zahlenmäßig stärker oder schwächer ist. Davon wiederum hängt es ab, ob sich die angegriffene Affenhorde dem Kampf stellt oder lieber den Rückzug antritt.

Was aber passiert im Gehirn der Tiere, wenn sie einfache Rechenaufgaben lösen? Andreas Nieder und Sylvia Bongard vom Institut für Neurobiologie der Universität Tübingen haben dies bei Rhesusaffen genauer untersucht. »Wir konnten beobachten, wie einzelne Zellen arbeiten, wenn die Affen eine Größer- oder Kleiner-als-Regel befolgen«, so die Forscher, deren Arbeit in der Online-Ausgabe des Fachblatts »Proceedings of the National Academy of Sciences« (DOI: 10.1073/pnas.0909180107) erschienen ist.

Zuvor trainierten sie ihre Versuchstiere darauf, am Computer zwei verschiedene Punktmengen der Größe nach zu vergleichen. Die Affen wählten dabei eine der beiden Punktmengen aus und teilten den Forschern durch eine spezielle Vorrichtung mit, ob die gewählte Menge größer oder kleiner war als die verbliebene. Während die Tiere das taten, und zwar äußerst erfolgreich, registrierten Nieder und Bongard die Hirnaktivität von 484 zufällig ausgewählten Nervenzellen im präfrontalen Cortex. Dieser vordere Bereich der Großhirnrinde beherbergt beim Menschen das kognitive Steuerzentrum und beeinträchtigt, wenn er geschädigt ist, nachweislich das logische Denken und Schlussfolgern.

Bei der Auswertung der Daten stellten die Forscher fest, dass sich 20 Prozent der untersuchten Neuronen völlig auf die angewandten Rechenregeln spezialisiert hatten, unabhängig davon, wie groß die zu vergleichenden Punktmengen waren. Allerdings wurde die eine Hälfte der Neuronen nur aktiv, wenn die Affen die Regel »größer als« befolgten, während die andere Hälfte ausschließlich bei Anwendung der Regel »kleiner als« feuerte.

Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass spezielle Neuronen einfache Rechenregeln kodieren. Oder anders ausgedrückt: Grundlegende mathematische Operationen sind im Gehirn gewissermaßen fest verdrahtet und bilden als neuronale Einheiten vermutlich den Ausgangspunkt für die Entwicklung höherer mathematischer Fähigkeiten beim Menschen.

Bei einfachen Aufgaben hingegen sind Affe und Mensch durchaus ebenbürtig, wie US-Forscher schon vor zwei Jahren gezeigt haben. Sie ließen Rhesusaffen und Studenten gegeneinander antreten, um 40 Additionsaufgaben der Art 3+5 zu lösen. Während die Studenten für jede richtige Antwort zehn Dollar erhielten, bekamen die Affen einen leckeren Softdrink. Die Aufgaben wurden in Form von Punktmengen auf einem Bildschirm präsentiert. Dort erschienen zum Beispiel drei, dann fünf Punkte und schließlich zwei Kästchen, von denen eines die richtige, das andere eine falsche Antwort anzeigte. Ergebnis: Die Studenten wählten in 95 Prozent der Fälle das korrekte Ergebnis, die Affen in etwa 75 Prozent. Kaum ein Unterschied ergab sich dagegen in der Zeit, die beide zum Nachdenken brauchten. Die Studenten hatten die richtige Antwort nach 0,94, die Affen nach 1,09 Sekunden gefunden.

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