Gysi sagt: Merkel fehlt der Mumm

Der Bundestag ist abermals gefordert, den deutschen Militäreinsatz in Afghanistan zu beenden / Kanzlerin wärmte die Mär vom »Anti-Terror-Kampf« auf und SPD-Gabriel meidet das Wort »Krieg«

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
In der Afghanistan-Debatte nichts Neues? Ganz so simpel kann man die gestrige Aussprache im Bundestag zur Regierungserklärung der Kanzlerin nicht zusammenfassen. Der Unmut im Volke zwang manchen Abgeordneten zumindest nach neuen Formulierungen bei der Rechtfertigung des Krieges zu suchen.

Auch Angela Merkel, die Regierungschefin, bemühte sich, manches leicht anders zu formulieren. Schließlich wollte sie den Abgeordneten die neue Strategie für Afghanistan verkaufen, mit der Schwarz-Gelb auf der heutigen Londoner Konferenz »Weichen stellen« will. Doch hinter Merkels modifizierten Formulierungen verbarg sich die alte Argumentation, mit der man vor über acht Jahren unter Rot-Grün in den von den USA verlangten Krieg gezogen ist.

Es sei notwendig gewesen, die »Brutstätte des Terrors« anzugreifen. Kein neuer 11. September und keine Anschläge wie in Madrid und London dürfe es mehr geben. Und daher sei der Bundeswehreinsatz auch »im dringenden Interesse der Sicherheit unseres Landes«.

Die bisherige Bilanz des Einsatzes? Für Merkel ist sie »gemischt«. »Es gab manche Fortschritte und zu viele Rückschritte«, räumte die Kanzlerin ein. Die internationale Staatengemeinschaft habe ihr Ziel noch nicht erreicht, Afghanistan dauerhaft zu stabilisieren.

Doch das wird nun alles anders werden, wenn in London die richtigen Beschlüsse gefasst werden. Allen, die einen Abzug der deutschen Truppen als wichtigen Beginn einer neuen Strategie betrachten, erteilte sie eine Absage: »In meiner Regierungsverantwortung wird es einen deutschen Alleingang nie geben«, schwor Merkel.

Und genau das warf Gregor Gysi, Fraktionschef der Linken, ihr vor. »Frau Merkel fehlt der Mut«, den USA zu sagen, dass man Krieg für das falsche Mittel halte und – so wie die Verbündeten in den Niederlanden und Kanada – abziehe. Nur wenn sie diesen »Mumm« haben, so attestierte Gysi der Kanzlerin, könne sie »positiv in die Geschichte eingehen«.

Auch Gysi zog eine Bilanz der vergangenen acht Jahre Krieg am Hindukusch. Er stützte sich dabei auf UN-Analysen zum zivilen Aufbau. Zuerst Positives: Die Anzahl der Kinder, die eine Grundschule besuchen, stieg von 54 Prozent auf jetzt 60 Prozent. Die Anzahl derer, die Schreiben und Lesen können, wuchs von 34 auf 36 Prozent an. Die Kindersterblichkeit sank von 257 auf 191 pro 1000 Geburten. Schwer wiegen dagegen die negativen Entwicklungen: Statt 33 Prozent leben nun 42 Prozent unter der Armutsgrenze, statt 30 Prozent leiden nun 39 Prozent an Unterernährung. Statt 12 Prozent haben nun nur noch 5,2 Prozent der Afghanen Zugang zu sanitären Einrichtungen. Dafür stieg die Fläche für den Anbau von Mohn, aus dem Drogen produziert werden, von 131 000 auf 193 000 Hektar.

Nicht gelten ließ der Linksabgeordnete die These vom angeblichen Krieg gegen den Terror. Die Lager der Al Qaida in Afghanistan seien längst zerstört, deren Finanzmittel eingefroren. Abgesehen davon, dass Krieg kein Mittel gegen Terrorismus ist, betonte Gysi: Wer in Afghanistan Krieg führe und Unschuldige töte, sorge dafür, dass Terroristen immer wieder Nachwuchs rekrutieren können.

Krieg? Das Wort mag der SPD-Chef Sigmar Gabriel gar nicht. Die Vereinten Nationen, unter deren ISAF-Mandat auch die Bundeswehr stehe, »führen dort keinen Krieg, und unsere Soldatinnen und Soldaten dort sind keine Krieger«. Man brauche »keine Militarisierung der Sprache«, weshalb ihm der Begriff »Weltpolizisten« viel besser gefällt, sagte Gabriel in einer für seine Oppositionsrolle recht substanzlosen Rede

Der SPD-Chef sah viele Gemeinsamkeiten mit dem Regierungsprogramm, mahnte »einen realistischen Fahrplan« für den Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan an. Die Zustimmung seiner Partei zu einem neuen Mandat hänge vor allem davon ab, ob das Jahr 2011 als Datum für den Abzugsbeginn festgeschrieben werde. Er beharre darauf, dass der bewaffnete Einsatz zwischen 2013 und 2015 zu Ende gehen müsse und dass eine Truppenaufstockung zeitlich begrenzt bleibe.

Die Grünen hatten schon vor der Sitzung beklagt, dass die Debatte um den deutschen Einsatz »gefangen in der militärischen Logik« sei. Es müsse darum gehen, das Land zu stabilisieren und wieder aufzubauen, hatte Fraktionschef Jürgen Trittin vor seiner Erkrankung erklärt. Man könne nicht eine Milliarde Euro für das Militär ausgeben, aber nur 200 Millionen für Entwicklungshilfe.

Inzwischen hat die Talibanführung zur Konferenz in London geäußert, dass sie nur »Zeitverschwendung« sei. Die einzige Lösung sei der sofortige Abzug der internationalen Truppen, hieß es in einer Erklärung in Kabul. Erst dann würde mit der Regierung verhandelt.

Bislang spricht nichts gegen die Annahme, dass die Taliban vielleicht nicht das letzte, wohl aber ein gewichtiges Wort bei der Beendigung des Afghanistan-Krieges mitzureden haben.

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