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Moskau spielt bei START-Nachfolge auf Zeit

Verhandlungen mit Washington stagnieren / US-Gegner des Abkommens gewinnen an Boden

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 2 Min.
Um die US-Raketenabwehrpläne für Ostmitteleuropa zu vereiteln, echauffierte sich ein Kommentator beim russischen Dienst des US-Auslandssenders Radio Liberty, habe Moskau den Folgevertrag für das im Dezember ausgelaufene START-1-Abkommen zur Begrenzung strategischer Rüstungen in Geiselhaft genommen.

Die Verhandlungen stagnieren in der Tat seit Wochen. Obwohl beide Seiten aufkommende Irritationen der internationalen Öffentlichkeit seit Ende letzten Jahres damit beschwichtigen, dass die Inhalte bereits zu 95 Prozent abgestimmt seien. Der Rest sollte beim Moskau-Besuch von Obamas Sicherheitsberater und dem Chef des Vereinten Komitees der Stabschefs Anfang Februar so weit geklärt werden, dass beide Präsidenten den Folgevertrag im April und damit vor der neuen Verifizierungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages unterzeichnen oder wenigstens paraphieren können.

Der Termin ist wohl nicht mehr zu halten. Russland, so Generalstabschef Nikolai Makarow, mache die Unterzeichnung eines neuen Vertrags von einer Berücksichtigung des Zusammenhangs zwischen Offensivwaffen und US-Raketenabwehr abhängig. Trotz westlicher Beschwichtigungen richte sich der Aufbau des US-Schildes offenbar gegen Russland.

Unmittelbarer Anlass für die Demarche des Vier-Sterne-Generals war eine Bereitschaftserklärung zur Stationierung von Teilen des Raketenschilds, mit der Rumänien ausgerechnet vorigen Freitag an die Öffentlichkeit ging. Denn am selben Tag hatte Präsident Dmitri Medwedjew die neue Militärdoktrin per Unterschrift in Kraft gesetzt. Auch sie verweist auf den Zusammenhang zwischen strategischen Offensiv und Verteidigungswaffen – sprich: Raketenabwehr – und nennt diese eine der größten Bedrohungen für die Sicherheit Russlands. Bedrohung Nummer zwei ist demzufolge die Erweiterung der NATO, die »in Verletzung des Völkerrechts globale Funktionen wahrzunehmen« versucht und ihre militärische Infrastruktur bis an Russlands Grenzen ausdehnt. Atomwaffen, so heißt es in dem Papier, seien daher auch künftig »ein wichtiger Abschreckungsfaktor«. Moskau behalte sich das Recht auf einen atomaren Gegenschlag »als Antwort auf den Einsatz von Atom- oder anderen Massenvernichtungswaffen gegen Russland und/oder seine Verbündeten« ausdrücklich vor.

Rumäniens Bereitschaftserklärung wie Makarows Antwort haben aus Sicht unabhängiger russischer Beobachter die Verhandlungen zu einem START-1-Folgevertrag um Monate zurückgeworfen. Man sei gegenwärtig in etwa wieder da, wo man im September stand: Vor Obamas Ankündigung, die Raketenabwehr-Pläne seines Vorgängers Bush bis 2015 zu vertagen und sie so zu modifizieren, dass Russland sich nicht bedroht fühlt. Dass sich mit Makarow ein Militär direkt und im entscheidenden Stadium in die heiklen Konsultationen einmischt, werten hiesige Experten als zusätzlichen Affront gegen Obama, der Moskau bei den Verhandlungen schon mehrfach entgegen gekommen sei.

Doch je länger Moskau auf Zeit spielt, desto mehr Zeit haben auch Obamas Gegner im Kongress zur Organisation ihres Widerstandes. Die Mehrheit der Republikaner ist der Auffassung, was bisher zu den Inhalten des neuen Abkommens bekannt wurde, stehe im Widerspruch zu US-Interessen.

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