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Der Böse

Georg Schramm erhält den »Prix Pantheon« 2010 in der Kategorie »Reif und bekloppt«

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

»Thomas Bernhard hätte sich erschossen«, so hieß eines seiner Programme, und mehr und mehr wurde Schramm, ohne den Charakter seiner Figuren zu verlassen, vom Kabarettisten zum erbarmungslosen Ankläger. Dem ein Fakt wichtiger ist als eine Pointe, eine gefundene Wirtschaftszahl toller, irrwitziger scheint als ein erfundener Witz. Dieser großartige Darsteller – 1949 geborener Arbeitersohn aus Bad Homburg, Offiziersschüler, zwölf Jahre Psychologe in einer Reha-Klinik – hat einen rigorosen Mut zur geradezu hämmernden Analyse des Zeitgeschehens. Er baut mit dem fast rührenden Stammtischraunen, dem kenntnislosen Rechthaben, der forschen Ideologie-Akrobatik und den tapferen Ohnmachtsreflexen seiner Figuren das stimmige Bild einer Welt, in der gilt: »Den Konzernen ist es egal, wer unter ihnen regiert.«

Er fiel einst bei einer privaten Feier im Schäferhundeheim Markelfingen mit einer Rede auf, das Laientheater-Ensemble engagierte ihn; so begann sein Weg – zum ARD-»Scheibenwischer« und, nach konzeptionellem Streit mit Mathias Richling in die Kabarett-»Anstalt« des ZDF. Inzwischen legendär: der kriegsversehrte Rentner Lothar Dombrowski. Ein aggressiv irrlichternder Abgesang, zwischen fiebrig-heiserer Selbsterregung im Endstadium der Wut und einem erschütternd sanften Einverständnis mit dieser höllischen Welt. Dombrowski ist der Gernegroß-König der privaten Rebellion, ein Partisan des verzweifelten Widerstandes, der sich aufstachelnd in Wartezimmer setzt, der Vortragsabende und Kant-Seminare besucht, um die Saat des wallenden Blutes in seine erbärmlich angepassten Mitmenschen zu setzen; immer auf der Suche nach jemandem, »der meine Verachtung verdient«. Weil er sein bisheriges Leben satt hat, führt er sein bisheriges Leben weiter: als Albtraum. Und am Gipfelpunkt der Raserei: Erschütterung eines Menschen, der doch nur eine Maske trägt, aber die Maskenhülle ist plötzlich als Gesichtshaut spürbar. Schramms Kunst überhaupt: tragische Schicksalskomiker auf die Bühne zu stellen – deren Selbstverständnis zerschmilzt, bis es nur noch ein Häufchen Klage ist.

Manche nennen das noch immer Kleinkunst.

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