Durchschüsse und Einsichten

Die Galerie der Berliner Graphikpresse konfrontiert Roenspieß und Hagen

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Zwei Künstler lässt die Galerie der Berliner Graphikpresse in einer Ausstellung zusammentreffen, die auf den ersten Blick wenig Gemeinsames haben: den ganz seiner glühend intensiven Farbigkeit hingegebenen, sich in ihr beinah verlierenden Maler Klaus Roenspieß und die eher spröde ihr Material auf Abstand haltende Plastikerin Sylvia Hagen.

Mit 23 Positionen vom großen Format bis zur Miniatur ist Roenspieß’ Ölmalerei vertreten. Ein Vierteljahrhundert seines Schaffens umgreifen sie und machen Entwicklungen sichtbar. Etwa die des 1935 Geborenen von der Berliner Schule und einer düsteren Fast-Monochromie hin zu ganz eigener Farbabstufung und – etwa im Fall des Hochformats »Am Meer« von 2008 – geradezu lichter Freundlichkeit. Roenspieß malt den Menschen in der Natur oder dem, was in der Stadt von ihr geblieben, von ihr zu entdecken ist. Denn Stadtlandschaften sind es meist, an denen sich sein schöpfender Geist entzündet. Da ist »Danziger Straße«, mit einem gelben Himmel über blauem Haus, Bäume auf der anderen Seite der Fahrbahn, alles dynamisch geballt, kraftvoll. Da ist das Großformat »Kollwitzstraße am Abend«, mit kahlen Bäumen, in deren Schwarz helle Flecken wie Laternen gaukeln, ein atmosphärischer Einblick in Rosa, Blau, Violett, wie so häufig mit zwei schattenhaften Spaziergängern. Und da sind »Kollwitzstraße (Winter)«, mit roter Kirche, einem Spalier aus Stämmen, wieder den zwei Flaneuren, und »Rykestraße II«, gelbe Häuser mit Schießschartenfenstern, grüne Bäume vor knalligem Dunkelviolett unter rosa Gewölk, schwimmend auf blauem Himmel.

Wolkenturbulenzen ballen sich auch auf den Öl-Miniaturen, über einem Feldweg oder Flachhausdächern, stimmungsbewegt, lebendig. Die »Platanen der Kollwitzstraße IV«, wieder größer, bilden einen Wald aus ockerfarbenen Stämmen im Mittelgrund, mehrere Personen streben vorwärts. Beinah maurisches Ambiente mit der Bogenarchitektur der S-Bahn-Trasse und sich türmenden Formen gibt »Berliner Abend I« wieder. Darin liegt einer der Reize von Roenspieß’ Darstellungen: Sie zielen nicht auf den urbanen Wiedererkennungseffekt; vielmehr halten sie mit bisweilen expressionistischer Verve den Moment fest, wie einzig der Maler ihn sieht. Das zwingt den Betrachter zum Vergleich mit der eigenen Wahrnehmung jenes Fleckens Berlin.

Auf eine klare Form mag sich auch die Treuenbrietzenerin Sylvia Hagen des Jahrgangs 1947 nicht festlegen. Ihre 15 Skulpturen aus Eisen, Bronze oder Terrakotta überstreichen einen Zeitraum von 13 Jahren. Was sie bei aller unterschiedlicher Thematik eint, ist das jeweils porös und sichtbar gefügte Material, sind die aufgerissenen Körper mit ihren Durchschüssen und Einsichten in ein Darunter. Nirgendwo täuscht polierte Oberfläche Ganzheit vor, wo doch alles in Bewegung, Veränderung ist.

Beinah klumpig stoßen Gliedmaßen aufeinander, und doch erfasst etwa in »Heilige Barbara« die Bronze erkennbar die Segnungspose der Hand. »Skizze, Sturm« peitscht den Werkstoff Bronze in die Höhe; »Tanz, barock« räufelt Ton wie Sand üppig auf zu einem kostbaren Faltenwurf, der nach unten hin immer dichter wird und dennoch voller Durchbrüche und Eingriffe bleibt. Einer antiken Mänade huldigt, mit weniger Drehung zwar, »Tanzzeichen«, ebenfalls Terrakotta. Kompositorisch besonders geschlossen wirkt die »Kleine Karyatide«: In ungewöhnlicher Lesart kniet, hockt sie, die Arme hinterm Kopf, in rundem Schwung auf einem löchrigen Ziegelstein – wo doch ihre antiken Schwestern stehend architektonische Lastenträger waren.

Bis 19.3., Galerie der Berliner Graphikpresse, Gabelsbergerstr. 6, Friedrichshain, Tel.: 42 01 24 40

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