Palästinas Spaltung und deutsche Mitschuld

Der Riss zwischen Fatah und Hamas hat 60 Jahre alte und auch ganz aktuelle Ursachen

  • Martin Lejeune
  • Lesedauer: 3 Min.
»Zwei Staaten für ein Volk? – Die politische Spaltung in Palästina« war Thema einer Podiumsdiskussion während der Tagung »Die Transformation Palästinas. Die Palästinenser 60 Jahre nach der Nakba« in der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin.

Davon überzeugt, dass ein vereinigtes Volk seine Interessen besser wahrnehmen könne, war es der Moderatorin Barbara Unmüßig vom Deutschen Institut für Menschenrechte von Beginn an ein Anliegen, von den Teilnehmern auch einen Ausblick zu erhalten, wie es wieder zur Versöhnung zwischen den zerstrittenen palästinensischen Parteien Fatah und Hamas kommen könne. Zunächst blickte Nathan Brown, Politikwissenschafter an der George Washington University in Washington, jedoch zurück, wie es zur Teilung des palästinensischen Volkes gekommen ist.

Als 2006 die Hamas-Bewegung nach 15 Jahren erstmals beschloss, an Wahlen teilzunehmen, sei dies der Ausgangspunkt einer Entwicklung gewesen, die später zur Spaltung führte. Die Hamas gewann zwar 45 Prozent der Parlamentssitze, sei jedoch nicht auf die Mehrheit im Parlament vorbereitet gewesen. »Das politische System war nur auf dem Papier gut ausgelegt, scheiterte aber in der Praxis. Die Hamas sprach mit unterschiedlichen Stimmen, und die Fatah erkannte die Legitimität der Hamas nicht an.«

Für Helga Baumgarten, Politikwissenschafterin an der Birzeit-Universität in Ramallah, war die entscheidende Ursache für die Spaltung jedoch die Reaktion der »internationalen Gemeinschaft«. Namentlich die Regierungen der USA und Deutschlands seien in die Verhinderung einer Versöhnung zwischen Fatah und Hamas direkt verwickelt, indem sie die Hamas als Wahlsiegerin und Regierungspartei nicht anerkannten und international isolierten. Nur so war es der Fatah möglich, die Sicherheitsdienste und die internationalen Entwicklungshilfegelder unter ihrer Kontrolle zu behalten und nicht verfassungsgemäß mit der Hamas umzugehen.

Ali Jarbawi, Politologe und Planungsminister der Palästinensischen Autonomiebehörde, der 2009 als einer von sechs Unabhängigen an den Versöhnungsgesprächen zwischen Fatah und Hamas in Kairo teilnahm, meinte, es gebe keine Unterschiede in den politischen Programmen. Gaza und das Westjordanland lägen aber unerreichbar weit voneinander entfernt. Die israelische Armee hatte im Frühjahr 1993 die Verbindung zwischen Westjordanland und Gaza unterbrochen. Vor 1993 seien 40 Prozent von Jarbawis Studenten an der Birzeit-Universität aus Gaza gekommen, heute gibt es keinen einzigen mehr. »Der Vertrag von Oslo sah die geografische Einheit von Westjordanland, Gaza und Jerusalem vor. Wir möchten, dass der Korridor zwischen Westjordanland und Gaza endlich eingerichtet wird.«

John Ging, Leiter des UN-Flüchtlingshilfswerkes in Gaza, sieht die eigentliche Wurzel des Konflikts in der Enteignung der Palästinenser vor 60 Jahren durch Israel. Das Ergebnis der Wahlen 2006 hingegen habe den Willen der Menschen ausgedrückt. »Die Menschen konnten ohne Zwänge wählen, der Wahlsieg der Hamas war der Protest gegen die Fatah-Regierungszeit.« Als einziger Teilnehmer, der aus dem Gaza-Streifen angereist war, berichtete Ging vom Leid der dortigen Bevölkerung. Gings Fazit nach über 1000 Tagen Belagerung des Gaza-Streifens: »Die Besatzung ist die Ursache für die Probleme der Palästinenser. Wir schaffen es nicht, das Völkerrecht umzusetzen.«

Jarbawi bestätigte das unendliche Leiden der Bevölkerung in Gaza und fügte hinzu: »Auch Palästinenser in Jerusalem und in den Dörfern des Westjordanlands leiden.« Überwindbar sei für ihn die Spaltung nur, wenn ein neuer Friedensprozess mit konkreter Aussicht auf eine Lösung den Menschen ihre verlorene Hoffnung wiedergeben könne.

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