Melancholisches Weltenende

Untergangslandschaften von Annette Weisser in der Galerie Reception

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 2 Min.

Die Welt ist voller Katastrophenszenarien und Verschwörungstheorien. Momentan wird der Weltuntergang – wegen des Auslaufens des Maya-Kalenders und einer alle 26 000 Jahre eintretenden astronomischen Konstellation – für 2012 prognostiziert. Die in Kalifornien lebende Künstlerin Annette Weisser setzt in ihrer Ausstellung »Das Ende der Welt« in der Galerie Reception aber andere Akzente. Nicht das Katastrophische wird betont, sondern die Lust am Blick über das Ende hinaus.

Dazu hat sie eine Art Minitheater in die Galerie gebaut. Eine Platte, in die in feiner Laubsägearbeit ein wolkiges Loch gesetzt ist, rahmt ein Landschaftsbild. Es handelt sich um das gleiche Motiv einer mit Baum und Strauch bekränzten Seenlandschaft, das sich im Laubengang des Schwetzinger Schlosses befindet und eines der bekanntesten Beispiele der illusionistischen Trompe-l'Oeil-Malerei ist.

Durch perspektivische Tricks wird hierbei dem Auge suggeriert, hinter der Leinwand oder dem Deckengewölbe dehne sich die Welt weiter aus. Weisser hat dieses Bild jedoch entfärbt. Sie breitet nun eine schwarz-weiße und streng melancholische Untergangslandschaft aus. Als besonderer Effekt wirft ein Diaprojektor einzelne Lichtpunkte auf die Szenerie. Weisser hat dazu manuell die einzelnen schwarzen Dias zerkratzt und so dem Licht kleinere Durchbrüche ermöglicht. Es wirkt wie hell strahlendes Sternenlicht, das plötzlich auf die düstere Erde trifft. Das ganze Szenario ist eine neckische Verschmelzung von Weltuntergangsdarstellungen, visuellen Welterweiterungsbestrebungen und der Simulation von Digitalisierung durch analoge Mittel (das Zerkratzen der Dias).

Weniger schlüssig wirken die Tuschezeichnungen, die Weisser an den Wänden der kleinen Galerie am toten Ende der Kurfürstenstraße platziert. Sie kontrastiert hier starke Frauenfiguren wie Antigone und Joan Baez, Sophie Scholl und deren Filmdarstellerin aus der Verhoeven-Produktion von 1982, Lena Stolze, mit geometrischen Formen. Weisser betreibt in diesem Fall ein kulturhistorisches Markenspiel ohne sonderlich erhellende oder ästhetisch raffinierte Momente. Der Kontext der deutschen Kriegs- und Nachkriegsgeschichte, unter besonderem Augenmerk für die Re-Educationprojekte der Alliierten, mit der sich die aus Villingen stammende Künstlerin jetzt im sonnigen Kalifornien laut Galerieinfo beschäftigen soll, hat bei diesen Arbeiten keinen prägenden Eindruck hinterlassen.

Das illusionistische Arrangement mit Landschaftsbild, Diaprojektor und Laubsägearbeit stellt aber doch eine aparte Intervention dar. Mit einer solchen Leichtigkeit ist man lange nicht an den Rand dessen, was die Welt sein soll, geführt worden. Weisser setzt einen feinen Kontrapunkt gegen die gewaltigen Filmfantasien ihres ebenfalls in Kalifornien gelandeten Landsmannes Roland Emmerich.

Annette Weisser: The End of the World, bis 23.4., Galerie Reception, Kurfürstenstraße 5, Mi.–Sa. 11–18 Uhr

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