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Wer hat uns verraten?

Platte Diffamierung von Karl und Rosa

  • Klaus Gietinger
  • Lesedauer: 5 Min.
Zunächst das Positive: Manfred Scharrers Buch über Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht stellt eines klar: Sie waren Revolutionäre. Jetzt das Negative: Der Rest ist übel, sehr übel. Tenor: Die Ermordeten sind schuld und nicht die Mörder. Und woran sind sie schuld? Am »Verrat« ihrer »Prinzipien«. Riefen aber nicht die Arbeiter 1919, schrien nicht die 68er (inclusive Scharrer) und schrieb nicht der konservative Sebastian Haffner: »Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!« Scharrer will den Spieß umdrehen. Wie sorgfältig dabei vorgegangen wird, beweist schon das Umschlagfoto. Es zeigt angeblich »Karl und Rosa« auf dem SPD-Parteitag 1909. Nur war Rosa Luxemburg nicht auf diesem Parteitag, noch hat die korpulente und große Frau auf dem Foto irgendeine Ähnlichkeit mit der 1,50 Meter kleinen Sozialistin. Dass hier ein X für ein U verkauft werden soll, bestätigt die beste Luxemburg-Kennerin, Prof. Annelies Laschitza, dies bestätigt auch das ehemalige SED-Parteiarchiv, das den Verlag auf den Irrtum aufmerksam machte. Einerlei, man druckte das Foto trotzdem und beging damit bewusste Fälschung. Was folgt ist zunächst persönliche Diffamierung. Leo Jogiches, Rosa Luxemburg Lebensgefährte, sei »ausgesprochen unsympathisch« gewesen, ein »intriganter Charakter«, der »scheu« das »Licht« gemieden habe. Dieser Vergleich des polnischen Sozialisten mit Ungeziefer stammt von Georg Strobel und wird von Scharrer eins zu eins übernommen, samt antisemitischer Konnotation. Im gleichen Atemzug wird die politische Sozialisation von Rosa Luxemburg einem »sehr speziellen Milieu« mit »erbitterten Streitereien, gegenseitigen Verdächtigungen und Feindschaften« zugeordnet. Man könnte auch sagen, wer in der Judenschule groß wird, kann nur für polnische Wirtschaft sein. Aber auch Liebknecht bekommt sein Fett weg. Sein »Nein« zu den Kriegskrediten im Dezember 1914 wird ebenso wie seine Verhaftung auf einer Friedensdemonstration 1916, die ihn ins Zuchthaus brachte, als Produkt seiner persönlichen Eitelkeit präsentiert. Es ist klar, dass bei so viel üblen Antikriegshetzern Ebert und Genossen im strahlenden Licht erscheinen: Sie hätten bei ihrer Förderung des Weltkrieges »im guten Glauben und in Übereinstimmung mit ihrer Tradition und ihren Prinzipien gehandelt«. Denn die SPD sei nie gegen den »Verteidigungskrieg« gewesen (siehe Bebels Flintenrede). Vergessen der Internationalismus, verleugnet die Forderung aller Parteitage nach Volkswehr, verdrängt auch die Warnung der »Leipziger Volkszeitung«, die Herrschenden würden »immer Friedensliebe« markieren. Scharrer weiß es besser. Vermutlich kennt er nicht einmal den Standpunkt führender SPDler, den Gustav Bauer schon 1913 (!) formulierte: Egal ob Angriffskrieg oder nicht, es sei wichtig was für die nationale »Gesamtheit« dabei herauskäme. Und dies war ein eklatanter Bruch mit der Sozialistischen Internationale. Nichts anderes. Aber selbst wenn die Führung der SPD den »Verteidigungsfall« im guten Glauben angenommen hätte, was hinderte sie daran, nach der Annexion Belgiens im September 1914 den imperialistischen Charakter des Krieges (wie Karl Liebknecht) zu erkennen. Nichts. Aber sie verharmloste lieber wie Noske die Zwangsverschleppung Tausender belgischer Proleten, ersuchte wie Scheidemann die Oberste Heeresleitung in Spa, ja nicht zurückzutreten, und genehmigte bis Juni 1918 einen Kriegskredit nach dem anderen. »Heute weht die deutsche Flagge auf den Türmen Antwerpens, hoffentlich für immer«, schrieb die Gewerkschaftszeitung »Courier« 1914. All dies wurde von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu Recht als Bruch der sozialistischen Tradition gegeißelt: Die Führung der SPD hatte die Spaltung vollzogen und niemand anderes. Doch Scharrer verbiegt munter weiter. Wie der Verteidigungskrieg sei »die Nationalversammlung« immer »Ziel und Wert« der SPD gewesen. Dies ist nun kompletter Unsinn, denn selbst in der Zeitschrift des Revisionisten Bernstein hatte es 1883 geheißen, der Parlamentarismus sei »in seinem gesamten Wesen nach undemokratisch«. Und auch für Bebel war der Parlamentarismus nur Mittel zum Zweck, Bestandteil der zu überwindenden Verhältnisse. Aber Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sollen diese große Liebe der SPD und damit auch noch ihre eigenen »Prinzipien« verraten haben. Schon 1903 bekannte sich Rosa Luxemburg zur Diktatur des Proletariats. Im Spartakusprogramm (Dezember 1918) verstand sie darunter die »wahre Demokratie«. Tatsächlich schließt diese Demokratie qua Rätemacht die herrschenden Klassen aus, um ihnen ihre diktatorische Macht über die Produktionsmittel zu entreißen und diese zu demokratisieren. In der russischen Revolution sah Rosa Luxemburg die Konstituante als Form der Diktatur des Proletariats an, denn die Großgrundbesitzer waren schon enteignet und die relativ kleine Schicht der Bourgeoisie entmachtet. Nirgendwo verrät sie also ihre »Prinzipien«, schon gar nicht das »stehende Gewässer des Parlamentarismus« (Luxemburg 1905), das sie und Karl Liebknecht ganz in SPD-Tradition nie als obersten Grundsatz ansahen. Was außerhalb der Vorstellungswelt Scharrers liegt, ist das Bekenntnis der beiden zur revolutionären Tat. Als im Januar 1919 unübersehbare Arbeitermassen sich drängten, glaubten sie die Mehrheit hinter sich, wie auch die neuesten Forschungen von Ottokar Luban bestätigen. Sie wollten den Sturz der Ebert-Regierung. Sie hofften auf den Radikalisierungsprozess im Moment der Revolution, der das Proletariat plus »nach oben hin alle kleinbürgerlichen und liberalen Berufe: Hausangestellte, Bankbeamte, Techniker, Schauspieler, Kunstberufe« ergreift und »nach unten hin bis ins Hausgesinde, in das Subalternbeamtentum der Polizei, ja bis in die Schicht des Lumpenproletariats« reicht und »sogar an die eisernen Tore der Militärkasernen« pocht. Sie wähnten sich an dem Punkt, wo das Bewusstsein der Massen einen Quantensprung macht, weil die Massen sich als Herr der Geschichte begreifen. Dass dies auch Bürgerkrieg bedeuten würde, war ihnen klar. Sie ahnten auch, dass die »Massaker« von der SPD im Pakt mit ihren Brüdern, den präfaschistischen Militärs ausgehen würden. Nur unterschätzten sie die Bereitschaft Eberts und Noskes zum Terror gewaltig. Dies kostete Karl und Rosa das Leben. Was treibt aber heute den Gewerkschaftsfunktionär Scharrer, den Ermordeten noch über 80 Jahre später geistige Genickschüsse hinterher zu jagen? Im Angesicht der Verteidigungskriege, die die Nachfolger der Mordregierung von damals heute im Kosovo, in Kabul und anderswo führen, will er offensichtlich in Permanenz auf den Knien herumrutschen dafür, dass er 1968 für »Rosa und Karl« und die Revolution gewesen war.
Manfred Scharrer: Freiheit ist immer... Die Legende von Rosa und Karl. Transit Buchverlag, 2002. 160S., geb., 20 EUR.

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