Babystrich: Unrecht, aber billig

Missbrauch Minderjähriger an deutsch-tschechischer Grenze kaum verfolgt

  • Hendrik Lasch, Plauen
  • Lesedauer: 3 Min.
Der »Babystrich« an der deutsch-tschechischen Grenze boomt. Für die Verfolgung deutsche Kinderschänder und den Schutz ihrer Opfer fehlen die Mittel.
Die Knödel sind billig, das Benzin ist preiswert, und auch »die Ware Kind gibt es zu günstigen Preisen«, sagt der Kriminologe Hans-Jürgen Mertha. Die Rede ist vom »Babystrich« in der nordböhmischen Grenzregion zu Sachsen und Bayern. »Die Deutschen wollen keine einfachen Prostituierten, sondern fragen nach Kindern«, sagt Jana aus Cheb. Sie berichtet von Müttern, die ihre Kleinen an deutsche Freier verkaufen, beschreibt schreckliche Zustände auf dem Straßenstrich. Selbst schwangere Minderjährige schaffen dort an; Drogen müssen das Grauen erträglicher machen; Hepatitis und andere Krankheiten grassieren; Gewalt von Zuhältern, aber auch Polizisten ist an der Tagesordnung: »Die Mädchen«, so Jana, »werden wie Hunde behandelt.« Obwohl die schlimmen Zustände bekannt sind, tut sich wenig, ergab jetzt eine von drei bündnisgrünen Bundestagsabgeordneten in Plauen organisierte Anhörung. Zwar unterstützt die Bundesregierung Kampagnen, die zu Anzeigen gegen die deutschen Freier ermutigen sollen. Deren Treiben ist in der Bundesrepublik strafbar, auch wenn es im Ausland begangen wurde. Aber das Gesetz sei wenig bekannt, sagt Mechthild Maurer von der Arbeitsgemeinschaft gegen die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern: »Die Täter werden kaum unter Druck gesetzt.« Bekannt sind auch die Probleme bei ihrer Verfolgung. »Unsere Möglichkeiten enden an der Grenze«, sagt Richard Türbe, Chef der BGS-Dienststelle in Schönberg. Nur selten reichen die Hinweise aus Tschechien für ein Verfahren. Bei der Plauener Polizeidirektion sind 2001 ganze zwei Anzeigen eingegangen. Schon lange mahnen Politiker, Kinderprostitution als Delikt der organisierten Kriminalität einzustufen und Möglichkeiten zu eröffnen, damit die Opfer in Deutschland vernommen werden können, ohne mit dem Ausländerrecht in Konflikt zu kommen. Sozialarbeiterinnen wie Cathrin Schauer vom Projekt KARO, die sich um die minderjährigen Prostituierten kümmern, fordern vor allem politischen Druck auf die tschechische Regierung: »Schließlich handelt es sich um Menschenrechtsverletzungen.« Ein voriges Jahr angekündigter »Nationalplan« aber lässt auf sich warten. Tschechien sieht sich am Pranger - zu Unrecht, wie betont wird: Schließlich gebe es Kindesmissbrauch auch hier zu Lande. Wegen politischer Missstimmung zwischen Prag und Berlin wegen der Benes-Dekrete wird derzeit aber sogar ein »Zurückweichen« bei den Verantwortlichen in der Bundesrepublik registriert. Ohne eine klare Haltung der tschechischen Regierung wird es aber auch keine konsequente polizeiliche Verfolgung geben, sagt der Kriminologe Mertha. Statt dessen sehen Insider »ernstzunehmende Hinweise« darauf, dass Polizisten am Babystrich mitverdienen. Zudem beklagt Sozialarbeiterin Schauer, dass Projekte in Tschechien keine Unterstützung erhalten: »Es gibt hochkompetente Leute. Aber sie haben kein Geld.« Verstärktes bundespolitisches Engagement, aber auch »zivilgesellschaftliche Initiative« gegen Sex mit Kindern forderte die grüne Abgeordnete Christa Nickels. Mitte Juni gibt es eine Anhörung im Bundestag. Dabei müsse es auch darum gehen, wie »Täter stärker abgeschreckt werden können«. Ein besserer Schutz der Opfer ist Gegenstand einer Erklärung, mit der die deutsche Delegation beim Weltkindergipfel in New York auftreten wolle, sagt ihre Kollegin Ekin Deligöz. Derweil verstärkt sich in Sachsen das Engagement. Ein Verein namens »Über Grenzen« will die schlimmen Zustände auf dem Babystrich ins Bewusstsein rücken und den minderjährigen Opfern helfen. Ihm werden Sozialarbeiter, Wissenschaftler, Kirchenvertreter und prominente Künstler angehören. Erstes Vorhaben ist ein Kinderschutzhaus auf der böhmischen Seite der Grenze.

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