Lohndumping beim Sozialträger?

Jörg Böhm vom Arbeitslosenverband über schlecht bezahlte Mitarbeiter / Der Parteilose ist Landesvorsitzender des Arbeitslosenverbands Deutschlands (ALV) in Mecklenburg-Vorpommern

  • Lesedauer: 3 Min.

ND: Für das »Warnow-Netz« rund um Rostock, mit vier Millionen gefahrenen Kilometern pro Jahr das meistgenutzte Nahverkehrsnetz im Nordosten, wird derzeit ein neuer Betreiber gesucht – vorausgesetzt, er zahlt nach Tarif. Geht es den Niedriglöhnern in MV nun an den Kragen?
Böhm: Wenn das eintritt, ist es ein richtiger Schritt. Mecklenburg-Vorpommern ist ohnehin das Land mit den statistisch geringsten Löhnen bundesweit, fast ein Fünftel unter dem Durchschnitt. Dieser Trend muss einmal gestoppt werden. Der beste Weg wäre ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn, wie ihn der Arbeitslosenverband Deutschlands (ALV) seit langem fordert. Der zweitbeste ein Landes-Vergabegesetz, das generell Tariftreue zur Voraussetzung für öffentliche Aufträge macht.

Ein solches Tariftreuegesetz steckt aber schon seit mehr als einer Legislaturperiode im Schweriner Landtag fest. Jetzt versucht Verkehrsminister Volker Schlotmann (SPD) offenbar, auf dem Verordnungsweg weiterzukommen; für die Bahnausschreibung ist die landeseigene Verkehrsgesellschaft VMV zuständig.
Ein Landes-Tariftreuegesetz ist offenbar unter den jetzigen Mehrheitsverhältnissen nicht durchzusetzen. Da scheint es durchaus sinnvoll zu sein, nun erste einzelne Bereiche per Ausschreibung vor Lohndumping zu schützen. Aber dieser Weg ist eng begrenzt: Solange es kein Gesetz gibt, werden etwa die Kommunen kaum Tarif-Klauseln aufnehmen.

Die ARGE in Stralsund überprüft seit einiger Zeit Fälle, in denen das Lohndumping die ALG-II-»Aufstocker« betraf. Wer zu wenig bezahlt, muss Gelder zurückerstatten. Das hat auch Ihren Verband betroffen, wie gestern auch im Sozialausschuss angesprochen wurde. Sind Sie ein Lohndumper?
Es ist richtig, dass im rechtlich unabhängigen Kreisverband Stralsund zwischen Herbst 2008 und Frühjahr 2009 eine Frau in der Schuldnerberatung gearbeitet hat, mit der ein Zuverdienst von 100 Euro monatlich vereinbart worden war. Unter Berücksichtigung der tatsächlichen Arbeitszeit dieser Frau ergab sich dann ein Stundenlohn von 1,90 Euro. Zuerst hatte die Mitarbeiterin einen Ein-Euro-Job, dann eine Weiterbildung. Anschließend sollte sie angestellt werden, aber die Förderung der Beratungstelle wurde nicht aufgestockt. So ist das zustande gekommen, es war ein Fehler, den wir korrigiert haben. In 18 Fällen haben wir die Arbeitszeit so gekürzt, dass nun fünf Euro herauskommen.

... was weit unter dem geforderten Mindestlohn liegt.
... und zu weiteren Prüfungen Anlass gibt. Erwähnen möchte ich in dem Zusammenhang aber auch, dass unser Tarifvertrag in früheren Zeiten seitens der Zuwendungsgeber immer als zu großzügig kritisiert worden ist. Zudem ist die Arbeit eines Verbandes wie des ALV viel schwieriger geworden, seit es keine SAM und praktisch keine ABM mehr gibt. 2006 war fast jeder zweite unserer heute 780 Beschäftigten sozialversichert, heute ist es jeder vierte.

Schon der Einsatz von Ein-Euro-Jobbern in einem Arbeitslosenverband ist doch fragwürdig.
Ein-Euro-Jobs sind weder für die Beschäftigten noch die Kommunen eine Perspektive. Dennoch beschäftigen wir Mitarbeiter auch auf dieser Basis, oft auch auf deren Bitte hin. In Mecklenburg-Vorpommern wird ein bestimmter Teil der Bevölkerung ungefördert nicht mehr auf den Arbeitsmarkt gelangen. Besser wäre die Zusammenführung der Mittel in einem öffentlichen Beschäftigungssektor. Aber das muss man politisch wollen.

Fragen: Velten Schäfer

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