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Eroberung wider alle Regeln

Vor 70 Jahren überfiel Hitlerdeutschland Dänemark und Norwegen

  • Horst Diere
  • Lesedauer: 6 Min.

Unter dem unverdächtigen Decknamen »Weserübung« begann in den frühen Morgenstunden des 9. April 1940 ohne Kriegserklärung und unter Bruch bestehender Abkommen der Überfall der deutschen Wehrmacht auf das neutrale Dänemark und auf Norwegen. Damit hatten Hitler und das Oberkommando der Wehrmacht (OKW), die ursprünglich dem raschen Sieg über Polen alsbald den Angriff auf Westeuropa folgen lassen wollten, die nächste Aggression erst nach Nordeuropa gelenkt.

Es war vor allem das Oberkommando der Kriegsmarine unter Großadmiral Raeder, das bald nach Beginn des Zweiten Weltkrieges darauf drängte, deutsche Stützpunkte in Norwegen zu schaffen, um unter Umgehung der von der britischen Flotte weitgehend kontrollierten Shetland-Norwegen-Enge deutschen Kriegsschiffen für die Seekriegführung gegen England direkten Zugang zum Nordatlantik zu ermöglichen. Die Beherrschung Norwegens sollte zugleich den Transport des für die deutsche Kriegswirtschaft unverzichtbaren hochwertigen schwedischen Erzes durch die norwegischen Küstengewässer auf Dauer sichern. Denn allein 75 Prozent der von Deutschland jährlich importierten 15 Millionen Tonnen Eisenerz kamen aus dem nördlichen Schweden. Im Winter versperrte aber das Eis den Weg des Erzes über die Ostsee, so dass es über Land auf der sogenannten Erzbahn zum eisfreien norwegischen Hafen Narvik gebracht und von dort nach Deutschland verschifft werden musste.

Norwegen war im Winter 1939/40 nicht nur in das militärstrategische Blickfeld Hitlerdeutschlands, sondern auch Großbritanniens gerückt, das ebenfalls schwedisches Erz über Narvik bezog. Winston Churchill, 1. Lord der Admiralität, drängte im britischen Kabinett auf entschlossene Maßnahmen zur Unterbindung der deutschen Erztransporte entlang der norwegischen Küste. »Das würde einen so ungeheuren Mangel an Eisenerz hervorrufen, dass noch vor dem Sommer Deutschland in eine kritische Lage geraten könnte«, prognostizierte er in einem Memorandum vom 16. Dezember 1939.

Die Möglichkeit dazu schien gegeben, als am 30. November 1939 der Sowjetisch-Finnische Winterkrieg ausbrach. England und Frankreich planten ein gemeinsames militärisches Eingreifen zugunsten Finnlands über den Norden Norwegens und Schwedens. Dabei ließen sich zugleich die schwedischen Erzgruben von Gällivare besetzen und Hitlerdeutschlands Nordflanke bedrohen. Doch das Ende des Krieges am 12. März 1940 (Frieden von Moskau) durchkreuzte die alliierten Absichten, ohne dass diese aufgegeben wurden. Norwegen war mithin 1939/40 zu einem der Brennpunkte deutsch-britischer Gegensätze geworden.

Inzwischen war am 1. März 1940 Hitlers Weisung »Fall Weserübung« ergangen: Es sollen mit »Teilkräften der Wehrmacht Dänemark und Norwegen überraschend« besetzt, damit »unsere Erzbasis in Schweden gesichert und für Kriegsmarine und Luftwaffe die Ausgangsstellung gegen England erweitert werden«. Beginnen sollte die Aggression am 9. April um 5.15 Uhr.

Das Gelingen von »Weserübung« als kombinierte See-, Land und Luftoperation hing entscheidend von der Kriegsmarine ab. Sie bot dafür alle Überwasserstreitkräfte und den größten Teil der Unterseeboote auf. Der für den Einsatz der Marine ausgearbeitete Operationsplan widersprach nahezu allen Regeln der Seekriegsstrategie und war voller Risiken, sah er doch den »Marsch« der Schiffe durch ein Seegebiet vor, das die weit überlegene englische Flotte beherrschte. An verschiedenen, weit voneinander entfernten Häfen der norwegischen Küste sollte die Anlandung erfolgen, wobei der nördlichste Ort, Narvik, knapp 1000 Seemeilen (fast 2000 Kilometer) von den deutschen Ausgangshäfen entfernt lag.

Raeder und die Seekriegsleitung kalkulierten hohe Verluste ein und setzten auf Überraschung, Tarnung und Täuschung. So sollten z. B. die deutschen Schiffe auf Anruf die britische Flagge zeigen und mit den Namen gleichartiger englischer Kriegschiffe antworten, etwa der Kreuzer »Köln« mit H.M.S. »Cairo« oder »Königsberg« mit H.M.S. »Calcutta«.

In den ersten Apriltagen liefen Schiffe der Transportstaffeln mit Material und Soldaten an Bord aus. Ihnen folgten am 7. April die in elf Gruppen eingeteilten Kriegsschiffe mit dem Gros der im Geheimen eingeschifften Truppen unter Deck.

Während sich die deutschen Invasionsverbände noch im Anmarsch über See befanden, legten britische Zerstörer Minen in norwegischen Gewässern. Es gab erste Seegefechte, die das deutsche Vorhaben – Geheiminformationen hatten es den beiden skandinavischen Ländern angekündigt – vollends offenbar werden ließen.

Die Besetzung Dänemarks von Land und von See her vollzog sich am 9.April fast kampflos. In Norwegen hingegen gelang es den deutschen Einheiten, oft erst gegen norwegischen Widerstand, eine Reihe der wichtigsten Hafenstädte und die Hauptstadt Oslo zu besetzen. lm Oslofjord schossen norwegische Küstenbatterien mit ihren 28-cm-Kruppgeschützen den modernen schweren Kreuzer »Blücher« zusammen und beschädigten die »Lützow«, das frühere Panzerschiff »Deutschland«, das Hitler aus Sorge vor dem Untergang eines Schiffes mit diesem Namen hatte umtaufen lassen. Vor Narvik versenkten zudem am 10. und 13. April britische Seestreitkräfte die nach der Anlandung von Gebirgsjägern im Fjord liegenden zehn deutschen Zerstörer. Verloren gingen ebenfalls die leichten Kreuzer »Karlsruhe« und »Königsberg«.

Kaum war Oslo in deutscher Hand, rief Vidkum Quisling, der Führer der norwegischen Faschisten, zur Einstellung des Widerstandes gegen die deutschen Eindringlinge auf. Bereits im Dezember 1939 hatte er Raeder und Hitler in Berlin aufgesucht und zur Besetzung Norwegens gedrängt. Doch in Norwegen waren auch Regierung und König – im Unterschied zu Dänemark – zum militärischen Widerstand entschlossen. Die norwegischen Streitkräfte führten weiterhin gegen die von der Küste in das Landesinnere unter dem Kommando des Generals von Falkenhorst vorstoßenden deutschen Truppen einen hinhaltenden Abwehrkampf.

Narvik im hohen Norden rückte in den Mittelpunkt der Kämpfe. Unter General Eduard Dietl standen dort 2500 deutsche Gebirgsjäger, zu denen noch rund 2000 Matrosen der versenkten Zerstörer kamen, im Gefecht mit überlegenen alliierten Truppen. Als sich mit dem 10. Mai, dem Überfall Deutschland auf die Benelux-Länder und Frankreich, der Kriegsschauplatz auf Westeuropa verlagerte, gaben die alliierten Armeen angesichts des sich dort anbahnenden militärischen Desasters jedoch Norwegen und damit Narvik auf. Was Dietls Verband vor einer völligen Niederlage bewahrte. In Berlin glorifizierte die Nazipropaganda die Ereignisse dort und den von Hitler zum »Helden von Narvik« proklamierten Dietl, der sich als Reichswehroffizier bereits in der Frühzeit der Weimarer Republik zu den Nazis bekannt hatte.

Gegen die britischen Flottenkräfte, die den Abzug der alliierten Truppen aus Norwegen sichern sollten, eröffnete Raeder nun die »Operation Juno« mit den Schlachtschiffen »Scharnhorst« und »Gneisenau«. Zwar gelang es, den britischen Flugzeugträger »Glorious« zu versenken, aber nicht die eigentlichen Evakuierungskonvois aufzuspüren. Dagegen erlitten beide deutschen Schlachtschiffe erhebliche Beschädigungen. Die letzten alliierten Truppen verließen Norwegen am 8. Juni. Zwei Tage später kapitulierten die Reste der norwegischen Armee.

Mit der Okkupation der beiden skandinavischen Länder sicherte sich Hitlerdeutschland reiche Rohstoff- und Lebensmittelquellen für die weitere Kriegführung; die Kriegsmarine erhielt Basen für die atlantische Kriegführung und die Luftwaffe Stützpunkte, die sie um Hunderte von Kilometern näher an England heranführten. Schwere Verluste hatten indes die Kriegsmarine empfindlich geschwächt; sie hatte zehn Zerstörern und drei Kreuzer verloren, während die beiden damals einzigen deutschen Schlachtschiffe sowie der schwere Kreuzer »Lützow« so havariert waren, dass sie monatelang ausfielen.

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