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Worte können weh tun

Schmerzgedächtnis reagiert auch bei Gesprächen darüber

  • Walter Schmidt
  • Lesedauer: 3 Min.
Über Schmerzen zu sprechen, stimuliert im Hirn jene Zonen, die auch aktiv sind, wenn uns etwas wirklich wehtut. Das fanden Psychologen der Universität Jena heraus.

Häufig versuchen Mediziner, kleinen oder auch großen Patienten die Angst zu nehmen, indem sie beispielsweise bei einer Impfung den Stich ankündigen. Sie sagen: »So, jetzt pikst es gleich ein bisschen« oder »Achtung, jetzt kann es mal kurz wehtun.«

Wie Psychologen der Universität Jena zeigten, kann dieses Vorgehen den Schmerzreiz sogar verstärken, indem jene Teile im Hirn aktiviert werden, in denen schmerzhafte Erfahrungen abgespeichert sind. Sobald die Nadel der Spritze die Haut berührt, macht sich der stechende Schmerz bereits deutlich bemerkbar. »Nach einer solchen Erfahrung reicht es dann bei der nächsten Impfung schon aus, sich allein das Bild der Nadel ins Gedächtnis zu rufen, um unser Schmerzgedächtnis zu aktivieren«, sagt Professor Thomas Weiß. Die Studie ist in der Februarausgabe von Pain erschienen, dem offiziellen Fachblatt der Internationalen Gesellschaft zur Erforschung des Schmerzes.

Wie der Inhaber des Lehrstuhls für Biologische und Klinische Psychologie und sein Team erstmals nachwiesen, können jedoch nicht nur frühere Schmerzerfahrungen das menschliche Schmerzgedächtnis alarmieren, sondern auch das gesprochene Wort. Sobald ein Mensch Begriffe wie »quälend«, »zermürbend« oder »plagend« vernimmt, reizt das genau jene Regionen im Gehirn, in denen diese Schmerzen verarbeitet sind. Das konnten die Forscher anhand der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) beobachten. Mit diesem bildgebenden Verfahren untersuchten sie gesunde Testteilnehmer, während deren Hirne gesprochene Worte verarbeiteten, die inhaltlich mit dem Empfinden von Schmerzen verbunden sind.

Da die Wissenschaftler ausschließen mussten, dass die Hirnreaktion allein darauf zurückzuführen war, dass es sich ausnahmslos um negativ besetzte Begriffe handelte, bekamen die Probanden auch negativ klingende Begriffe zu hören, die nicht das Schmerzempfinden beschreiben – zum Beispiel »Angst einflößend«, »widerlich« oder »eklig«. Doch diese Wörter vermochten die Schmerzzentrale im Hirn nicht zu aktivieren.

Die Versuche hätten erweisen können, »dass allein schon Worte unser Schmerzgedächtnis aktivieren können«, zieht Thomas Weiß als Fazit. Dass unser Hirn schmerzliche Erlebnisse speichert, sei biologisch sehr sinnvoll. Denn nur so ist es möglich, unguten oder gar bedrohlichen Gefahrensituationen künftig aus dem Weg zu gehen – etwa der sprichwörtlichen heißen Herdplatte oder einem Grundstück mit bissigem Hund. Weiß zufolge könne es sein, dass verbalen Reizen »eine bisher unterschätzte Bedeutung zukommt« – etwa im Umgang mit Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden. »Diese Patienten sprechen sehr häufig über ihr Schmerzempfinden, etwa mit ihrem behandelnden Arzt oder dem Physiotherapeuten«, sagt die zum Jenaer Forscherteam gehörende Doktorandin Maria Richter. Solche Gespräche könnten die empfundenen Schmerzen verstärken, was die Thüringer Psychologen in einer weiteren Studie klären wollen.

Als praktische Konsequenz aus den Versuchen rät Thomas Weiß zu einem anderen Umgang mit Kindern, die Schmerzen zu erwarten haben oder bereits ertragen müssen. »Wenn ein Kind gleich zum ersten Mal einen Pikser durch eine Spritze erleben wird, kann man ihm ruhig vorher sagen, dass es gleich ein wenig wehtun könnte«, empfiehlt der Psychologe. Denn dann verbinde es noch kein Schmerzerlebnis damit. Handelt es sich aber nicht ums erste Mal, lasse die Ankündigung den Schmerz heftiger sein. Für klüger hält Weiß in solchen Fällen geschickte Ablenkungsmanöver wie etwa die Frage nach dem Urlaub oder den Freunden.

Von Sprüchen wie »Ein Indianer kennt keinen Schmerz« hält der Psychologieprofessor absolut gar nichts: Aus biologischer Sicht ist der Spruch ohnehin Unsinn. Denn Schmerzen haben Menschen und Tier seit jeher beim Überleben geholfen.

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