Inszenierung der Langsamkeit

»Another.Fucking.Solo.« im Ballhaus Ost stellt die Geduld auf die Probe

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Ami Garmon während ihres Solos
Ami Garmon während ihres Solos

Seit 20 Minuten liegt die blonde Frau auf dem Rücken und balanciert einen Mikrofonständer auf ihren nackten Füßen, im Hintergrund klimpert ein Klavier. Einigen Zuschauern wird es nun doch zu spät, sie verlassen den Saal. Über drei zum Teil quälend lang gezogene Stunden – statt der angekündigten zwei – zieht sich das choreografische Schauspiel »Another.Fucking.Solo.« im Ballhaus Ost, ein zwar poetischer, jedoch enervierend lang geratener und komplizierter Mix aus Tanz, Performance, Video und Konzert.

Verantwortlich für das Projekt zeichnet die amerikanische Künstlerin Ami Garmon, die in Berlin und Frankreich lebt und in Zusammenarbeit mit bildenden und Tonkünstlern Installationen mit Texten, Musik und Tanz erarbeitet, die eindringlich und vielschichtig sind, aber auch schwierig zu durchdringen – zumal die Texte in Englisch gesprochen werden.

In ihrem neuesten Stück, in dem der Minimal-Classic-Musiker Greg Haines für die Begleitung sorgt, verhandelt Ami Garmon den inneren Kampf und die Trauer, den der Moment des Verlustes auslöst, und durchwandert Erinnerungen und Fantasiewelten. Im ersten Teil räumt sie langsam, fast träumerisch Dinge umher, kauert sich unter einer Eckbank und später einem schrägen Tisch zusammen, rollt sich im Geigenkasten ein, windet und streckt sich. Haines erschafft während dessen am Computer sich langsam aufbauende Klangwelten, die immer wieder zurücktreten, auch mal völlig verstummen und sich schließlich zu einem schier ohrenbetäubenden Crescendo steigern – wie eine Mischung aus Presslufthammer, Hubschrauber und elektronischer Clubmusik, die den ganzen Körper vibrieren lässt und das Publikumspodest gleich mit dazu.

Im zweiten Teil, nach langer Umbaupause, hat sich das Bühnenbild verändert. Zwischen Publikum und Bühne verläuft eine Grenze aus weißen Spanplatten, vollgestellt mit Alltagsdingen wie Büchern, Spielzeug, oder einer Mütze mit Leopardenmuster. Ami Garmon zieht sich an und aus: vom asymmetrischen »kleinen Schwarzen« zur weißen Spitzenunterwäsche, vom grün-goldenen T-Shirt zum weißen Hemd über Jeans. Dazwischen liest sie schnell und mit hoher Stimme einen Text vor, plappert ohne Unterlass auf den schlaff hinterm Sofa liegenden bärtigen Mann ein, der sich im zweiten Teil stumm mit ihr die Bühne teilt, vollführt gymnastische Übungen wie die »Brücke«.

Auf einem Bildschirm kann das Publikum die gesamte Zeit Ami Garmons Gesicht studieren, wie es ganz langsam seinen Ausdruck wechselt. Von koketter Ernsthaftigkeit bis zu einem warmen Lächeln. Im Hintergrund blitzen auf einer Dialeinwand verschneite Landschaften auf, Vogelschwärme, eine Frau, die beim Schlittschuhfahren in Zeitlupe stürzt. Greg Haines frickelt seine elektronischen Soundmuster zusammen, setzt sich aber auch mal ans Klavier und baut langsam-bedacht perlende Harmonien auf. Überhaupt ist die Inszenierung von einer Bedächtigkeit, ja Langsamkeit geprägt, die viel Konzentrationsvermögen voraussetzt.

So, wie sich die Soundschleifen im Laufe einer halben Stunde zu komplexen Kompositionen vereinen, baut Ami Garmon mit Stimme und Körper, Mimik und Bewegung Stimmungen auf, testet sie und verwirft sie wieder, um dann vorsichtig tastend neue Emotionen auszuloten. Das hat durchaus poetische, auch mal witzige Momente, doch wäre die Künstlerin gut beraten gewesen, die zwei Teile – die sie ähnlich wie bei einer Langspielplatte mit A- und B-Seite zu einem Ganzen vereint – entweder getrennt aufzuführen oder zu kürzen. Die Premiere jedenfalls strapazierte die Geduld der Zuschauer im Übermaß.

21.-24.April, 20 Uhr; Ballhaus Ost, Pappelallee 15, Prenzlauer Berg, Karten unter 030-47 99 74 74, www.ballhausost.de

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