Weltweit basieren rund ein Viertel der Medikamente auf natürlichen Wirkstoffen. Gewonnen werden sie meist aus Pflanzen, die entweder in der Wildnis gesammelt oder in Feldkulturen angebaut werden. In Zukunft könnte die Naturmedizin aber auch fernab der Natur entstehen. Die Heidelberger ROOTec GmbH, eine Ende 1999 gegründete Biotechnologie-Firma, hat einen Bioreaktor entwickelt, in dem Wurzeln von Medizinalpflanzen kultiviert werden können, um daraus Wirkstoffe zu gewinnen. Das patentierte Verfahren ermöglicht es, seltene wilde Pflanzen für Medikamente zu nutzen, ohne die Bestände in der Natur zu gefährden.
»Wir wollen die Wirkstoffe aus den Wurzeln melken«, erläutert Eckhart Wildi, wissenschaftlicher Leiter der ROOTec, die Grundidee hinter dem Bioreaktor. Dafür wird die Wurzelkultur in einem geschlossenen und sterilen System gehalten, in dem sie ständig mit einer fein vernebelten Nährlösung besprüht wird. Da die Wurzeln ein sehr durchlässiges Gewebe haben und im regen Austausch mit ihrer Umgebung stehen, geben sie auch ständig Stoffe, die in den Zellen produziert werden, an die Nährlösung ab. Darunter sind auch jene Moleküle, die wegen ihrer pharmazeutischen Wirkung gefragt sind. Sie können aus der Nährlösung gefiltert und anschließend für die medizinische Anwendung gereinigt werden.
Um die Ausbeute zu erhöhen, verwendet ROOTec keine normalen Pflanzenwurzeln als Wirkstoff-Fabriken, sondern so genannte Hairy Root Cultures. Diese »haarigen« Wurzeln sind eine Art Tumorgewebe, das die Pflanzen bilden, wenn sie mit dem Agrobacterium rhizogenes in Kontakt kommen. Das Agrobacterium schleust Teile seines Erbgutes in die Pflanzenzellen und programmiert sie um. So entstehen »transformierte« Pflanzenwurzeln, die schneller wachsen, sich stark verzweigen und besonders viele Wurzelhaare ausbilden. Dieser Prozess, mit dem seit Jahren in der biotechnologischen Forschung gearbeitet wird, kommt genau so auch in der Natur vor. Für ROOTec ist er interessant, weil die transformierten Wurzeln die gewünschten Wirkstoffe häufig in höheren Konzentrationen produzieren.
Wildi geht davon aus, dass alle Pflanzen mit Hilfe des Bakteriums A. rhizogenes zur Bildung der Hairy Roots angeregt werden können. »Unsere Vision ist es, jeden pflanzlichen Wirkstoff an jedem Ort der Welt aus einer Wurzelkultur gewinnen zu können«, sagt er.
In der Praxis muss sich ROOTec allerdings der Frage nach der Wirtschaftlichkeit stellen. Wildi räumt ein, dass die Produktion im Bioreaktor von den Kosten und der Ausbeute her kaum mit dem landwirtschaftlichen Anbau von Medizinalpflanzen konkurrieren könne. »Unser System erlaubt keine Produktionsmengen im Tonnenbereich«, sagt er. Die Chancen sieht er vor allem im Markt für pharmazeutische Naturstoffe, die aus seltenen oder schwer zugänglichen Pflanzen stammen.
Dazu gehören beispielsweise Substanzen wie Podophyllotoxin oder Camptothecin. Diese werden bereits als Zellgifte bei der Behandlung von Krebsgeschwüren eingesetzt. Sie werden aus dem Himalaya-Fußblatt (Podophyllum hexandrum) bzw. dem chinesischen Glücksbaum (Camptotheca acuminata) gewonnen. Der große Bedarf in der Krebstherapie hat allerdings dazu geführt, dass die Bestände dieser Pflanzen in den Ursprungsländern bereits stark dezimiert worden sind. Würden sie weiterhin so ausgebeutet wie bisher, könnten die Arten aussterben und mit ihnen Möglichkeiten der Krebstherapie verloren gehen.
Mit dem ROOTec-Bioreaktor können Substanzen wie Camptothecin ohne weitere Eingriffe in die Natur gewonnen werden. Das hat auch das Bundesforschungsministerium erkannt. Im Rahmen des Forschungsprogramms »Nachhaltige Bioproduktion« fördert es mit 1,8 Millionen Euro ein dreijähriges Verbundprojekt, in dem ROOTec mit Pharmakologen und Biologen der Universitäten von Düsseldorf und Heidelberg daran arbeitet, die Produktion der Anti-Krebs-Stoffe in der Haarwurzelkultur zu optimieren.
Bislang produziert ROOTec keine Wirkstoffe im kommerziellen Maßstab. Das junge Unternehmen befindet sich noch in der Aufbauphase und hat erst kürzlich neue Geschäfts- und Laborräume bezogen. Doch die Möglichkeiten des Hairy-Root-Bioreaktors stoßen bei der Pharmaindustrie auf Interesse. Anfang des Jahres schloss ROOTec den ersten Vertrag mit einem noch geheim gehaltenen Hersteller von Naturmedizin, um Wirkstoffe für Phytopharmaka zu liefern.
http://www.rootec.com/
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