Fischerkiez und Hinterhof

Käthe-Kollwitz-Museum Berlin: Wiederbegegnung mit dem Maler Otto Nagel

  • Peter H. Feist
  • Lesedauer: 4 Min.
Selbstbildnis mit rotem Schal, 1949
Selbstbildnis mit rotem Schal, 1949

In vielen Ausstellungen heutiger bildender Kunst geben uns Werke absichtlich Rätsel auf. Weshalb sehen sie so aus? Was ist gemeint? Bei dem, wovon hier die Rede ist, stellen sich diese Fragen nicht. Man kommt dennoch ins Grübeln. Für wen kann die Ausstellung wichtig sein?

Otto Nagel – Berliner Bilder. Die zeigten 1954 die Ostberliner Akademie der Künste, 1964 das Märkische Museum, 1994 das nachher geschlossene Otto-Nagel-Haus am Märkischen Ufer und 2003 das Käthe-Kollwitz-Museum in Charlottenburg. Dort sind jetzt abermals Nagels Berliner Bilder zu sehen, und zur Vernissage kamen sehr viele Leute.

Verschiedene Rückblicke überlagern einander und konkurrieren. Das liegt in hohem Maße an der Persönlichkeit und dem Lebensweg des Malers (1894-1967), der übrigens auch ein erfolgreicher Ausstellungsorganisator und ein Bücherschreiber war, und woran hier nur knapp erinnert werden kann. Zwei packende Selbstbildnisse bezeugen entscheidende Wendepunkte. Um 1936 steht Nagel in seiner Wohnung vor einer leeren Staffelei, blickt mit einem genau erfassten zwiespältigen Ausdruck von Sorge und Ingrimm aus aufgerissenen Augen bohrend auf den Betrachter. Die Nazis, die der Kommunist auf vielfältige Weise bekämpft hatte, verboten ihm 1934 das Malen im Atelier und sperrten ihn 1936 monatelang ins KZ. Von da an konnte er nur im Freien malen. 1949 malte er sich dann »mit rotem Schal«, scharf hinsehend und demonstrativ wieder malend – ein wichtiges Bild vom »neuen Anfang« in Deutschland.

Der Tischlersohn Nagel wuchs unter ärmlichen Verhältnissen im Berliner Arbeiterbezirk Wedding auf und zeichnete und malte lebenslang fast ausschließlich Berliner Motive. Er konnte das nur in Abendkursen lernen und wollte durchaus traditionell nur genau Gesehenes und ihm Wertvolles wiedergeben. Neu war dabei, dass er, der selbst Fabrikarbeiter gewesen war, sich auf Arbeiter, Arbeitslose und das ganze Elend von Notleidenden konzentrierte und dies in so kraftvollen dunklen Bildern würdigte, dass ihn verblüffte Kunstkritiker der bürgerlichen Presse bald »Klassiker vom Wedding« nannten.

Schon früh gab er auch den städtischen Lebensraum seiner Modelle in dessen Motiven und Lichtstimmungen wieder, und als er nicht länger an seinen Bildern von der Realität des Daseins der »Unterschichten« arbeiten durfte, widmete er sich ganz der Entdeckung der Straßen, Höfe, Grünanlagen, Kinderspielplätze, Hauseingänge und Treppenaufgänge in seinem Wedding, später in Spandau und zuletzt in der alten Mitte Berlins. Mit locker skizzierten kleinen Ölgemälden und Pastellen von oft eher unscheinbaren Partien, in der Regel unter trübem Himmel wurde er bewusst zu einem Heimatmaler, und als die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs anfingen, zum Bewahrer von Erinnerung an Häuser, die kurz danach zerstört wurden.

Nach der Befreiung von der Nazi-Herrschaft wurde Nagel, der in den 1920er Jahren auch wichtige Verbindungen zur Sowjetunion hergestellt und die Schauspielerin Valentina Nikitina von dort als seine Ehefrau mitgebracht hatte, sofort für Wiederaufbau und Erneuerung der Kultur aktiv. Er stieg in der DDR in wechselnde leitende Funktionen auf. Folglich ignorierte Westberlin zunächst seine Kunst. Später begann auch der Wedding, den mittlerweile international Gewürdigten als Tradition für sich zu beanspruchen, und die Berliner Sparkasse kaufte von Nagel eine große Zahl seiner Berlin-Ansichten, die jetzt zusammen mit denen, die ein Privatsammler erwarb, den Grundstock der Ausstellung bilden.

In der DDR wurde er, der an einer gesamtdeutschen Kultur festhielt, 1962 aus seinem Amt als Präsident der Akademie der Künste verdrängt, und protestierte er vergebens, auch mit Bildern, gegen den Abriss der alten Häuser des Fischerkiezes zugunsten von Neubauten. Er starb 1967 in dem Moment, als des 100. Geburtstages der von ihm als Vorbild verehrten Käthe Kollwitz gedacht wurde. Die Einrichtung eines Otto-Nagel-Hauses der Nationalgalerie für seinen Nachlass und dann für weitere Werke der proletarischen und antifaschistischen Kunst verdeckte die Tatsache, dass Nagel ein Beispiel für die tiefen Konflikte altbewährter Kommunisten mit der aktuellen Politik ihrer Parteiführung war.

Friedegund Weidemann, die einmal Leiterin des Nagel-Hauses war, würdigte Nagels Kunst zur Eröffnung der jetzigen Ausstellung. Die vereinigten Berliner Museen schlossen das Nagel-Haus 1995. Revolutionäre Kunst war keine hervorzuhebende Tradition mehr. Wieland Försters posthume Porträtbüste Nagels, die im Eingangsraum stand, kann jetzt wiedergesehen werden.

Die Debatte darüber, woran man sich erinnern solle, bleibt ein ständiger Antrieb des Kunstgeschehens. Anlässlich der jetzigen Ausstellung übergab die Ostberliner Bildhauerin Evelyn Hartnick-Geismeier ihr Geschenk einer Tafel mit Bildnissen von Otto Nagel, Käthe Kollwitz und Heinrich Zille aus ihrem vielteiligen Relief über Nagels Leben, und der ehemalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen als Vorsitzender des Förderkreises des Kollwitz-Museums überraschte die Anwesenden mit seiner persönlichen Achtung für die Kunst des »Klassikers des Proletariats«, die jetzt in einem Haus zu sehen sei, das der Deutschen Bank, einem »Klassiker des Kapitalismus«, gehört. Es gibt also viele Gründe, sich diese Ausstellung anzusehen.

Otto Nagel – Berliner Bilder, Käthe-Kollwitz-Museum, Berlin-Charlottenburg, Fasanenstr. 24, bis 30. 6., tägl. 11-18 Uhr.

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