Charité braucht Vivantes-Patienten

Grüne: Senat muss Entscheidung bei der Gesundheitsversorgung treffen / Wowereit gefragt

  • Andreas Heinz
  • Lesedauer: 4 Min.
Charité-Empfangsgebäude in Mitte.
Charité-Empfangsgebäude in Mitte.

Eine »Hängepartie in Fragen der Berliner Gesundheitsversorgung« wirft die Fraktion der Bündnisgrünen dem rot-roten Senat angesichts der künftigen Krankenhausfinanzierung vor. »Der Berliner Status quo wird so nicht weiter funktionieren«, sorgen sich Fraktionschef Volker Ratzmann und der haushaltspolitische Sprecher Oliver Schruoffeneger. In einem gestern vorgestellten Antrag fordern die Fraktionsmitglieder »zukunftsfähige Krankenhauspolitik statt Stillstand«.

Dem Papier zufolge soll das Abgeordnetenhaus den Senat zum Beispiel auffordern, die Zuschüsse an Krankenhausträger nur noch als pauschale Zahlung zu gewähren. Einzelförderung für Anschaffungen und Baumaßnahmen müssten gestrichen werden. Berlin brauche ein neues Finanzierungssystem und eine realistische Einschätzung der notwendigen Kapazitäten.

Vor allem die Forderung des Senats nach 900 zusätzlichen Klinikbetten ist für die Bündnisgrünen völlig unverständlich. »Aktuelle Zahlen belegen, dass zwischen 2004 und 2008 täglich 700 Betten weniger belegt wurden«, stellte Schruoffeneger gestern weiter fest. »Der Senat ist aber nicht fähig, seine Forderung nach mehr Betten zu untermauern. Wir vermissen die logische Begründung.«

Zur Zeit sind die Berliner Krankenhäuser nach Darstellung der Grünen-Fraktion zu rund 82 Prozent ausgelastet, was etwa 19 400 Betten entspreche. »Dabei schwanken die Auslastungen erheblich von über 90 bis zu rund 70 Prozent«, erklärte Ratzmann. Die Grünen peilen eine durchschnittliche Auslastung in den Berliner Krankenhäusern von 85 Prozent an. Dazu gehöre aber auch, die beiden kommunalen Klinikkonzerne Charité und Vivantes unter einem Dach zusammenzufassen, wie es auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) vorschlägt.

»Der Senat war bisher nicht in der Lage, eine geeignete Struktur zu entwickeln«, so der Vorwurf der Grünen. Ob Holding oder Stiftung könne später diskutiert werden. An die Adresse des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) richtete Volker Ratzmann die Aufforderung: »Wowereit muss über die Zukunft der Kliniken entscheiden. Das ist ein typischer Fall für Richtlinienkompetenz.« Seit mittlerweile acht Jahren gebe es den Fusionsgedanken, aber bis heute sei keine Entscheidung getroffen worden. Dabei stehe fest, dass die Charité Patienten von Vivantes brauche, um rentabel arbeiten zu können. Die IHK rechnete in diesem Zusammenhang vor, dass eine Holding Einsparungen von rund 45 Millionen Euro jährlich ermöglichen könne. »Auch von Vivantes und Charité kommt Zustimmung zu einer Fusion«, so Ratzmann.

Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (LINKE), Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner (SPD) und Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) können sich aber auf kein Konzept einigen, erklärte ein Sprecher Zöllners gegenüber ND. Berlin fehlt das Geld. Die Charité will einen jährlichen Investitionszuschuss von 90 bis 100 Millionen Euro, Vivantes hat einen Investitionsbedarf von 622 Millionen Euro. Für das Land Berlin würde das bis 2020 über 1,5 Milliarden Euro bedeuten.

»Das kann Berlin allein nicht schaffen«, so Marion Haß, IHK-Geschäftsführerin für Innovation und Umwelt. Bei einer Management-Holding könne als Option privates Kapital zufließen. Diese Holding könne als Aktiengesellschaft geführt werden, bei der die Anteile im Besitz des Landes Berlin blieben. Auch eine GmbH sei vorstellbar. »Wir feilen gerade an unserer Arbeitsfassung speziell zu den Punkten Investition und Standortfindung. Anfang Juni soll ein Konzept vorgelegt werden. Aber Haß glaubt auch: »Vor den Abgeordnetenhauswahlen 2011 passiert wahrscheinlich wenig.«


Die Charité und der Vivantes-Konzern in Zahlen

  • Mit rund 14 500 Beschäftigten und 3200 Betten zählt die Berliner Charité zu den größten Universitätskliniken Europas. In diesem Jahr existiert das Klinikum 300 Jahre.
  • Die Charité verteilt sich auf vier Standorte: Campus Charité Mitte, Campus Benjamin Franklin, Campus Virchow-Klinikum, Campus Berlin-Buch als Forschungsstandort.
  • Pro Jahr erwirtschaftet die Uniklinik etwa eine Milliarde Euro.
  • Vivantes gilt als der größte Krankenhauskonzern Deutschlands. Zu dem Unternehmen gehören neun Krankenhäuser, zwölf Pflegeheime, zwei Senioren-Wohnhäuser, eine ambulante Rehabilitation, außerdem Tochtergesellschaften für Catering, Reinigung und Wäsche.
  • Der kommunale Klinikkonzern beschäftigt mehr als 13 000 Mitarbeiter.
  • Im vergangenen Jahr machte Vivantes 2,6 Millionen Euro Umsatz, 2008 waren es 2,4 Millionen Euro.
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