Broders Laudatio

MRR und Israel

  • Lesedauer: 2 Min.

Am Sonntag wurde dem 90-jährigen Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki in der Paulskirche zu Frankfurt am Main die Ludwig-Börne-Ehrenmedaille verliehen. Zu den Laudatoren zählte neben dem »FAZ«-Herausgeber Frank Schirrmacher und dem TV-Unterhalter Thomas Gottschalk der Publizist Henryk M. Broder. Dessen Ansprache unterschied sich von üblichen Lobreden gewaltig. Broder nutzte die Gelgenheit, um »über ein Thema zu sprechen, das mir wie kein anderes am Herzen liegt«. Er nennt es die »Wiederkehr der jüdischen Frage«.

Sich nicht zu aktuellen politischen Fragen zu äußern, wirft Broder Reich-Ranicki, »dem Ludwig Börne unserer Tage«, freundlich, aber direkt vor: »Man kann in der deutschen Literatur zu Hause sein, aber man kann nicht so tun, als würde man in der deutschen Literatur leben. Zum Leben gehört mehr als die Kenntnis der literarischen Produktion eines Landes oder einer Gesellschaft. Wenn Sie auf der Straße als ›Saujud‹ angepöbelt werden, werden Sie gewiss nicht stehenbleiben und den Pöbler fragen: ›Entschuldigen Sie bitte, lieber Freund, haben Sie ›Nathan der Weise‹ nicht gelesen?‹«

Broder, der in der deutschen Gesellschaft »die fortschreitende Dämonisierung und Deligitimierung von Israel« ausmacht, fragt den Holocaust-Überlebenden Marcel Reich-Ranicki, ob er »nicht eine Gänsehaut« bekomme, »wenn im Zusammenhang mit den Lebensbedingungen in Gaza von ›Zuständen wie im Warschauer Getto‹ geredet wird«. Weiter heißt es in der von Spiegel-online und »FAZ« abgedruckten Rede: »Ich hätte mir gewünscht, dass Sie auf den Tisch geschlagen und ›Grässlich!‹ gerufen hätten, wie Sie es so oft im ›Literarischen Quartett‹ getan haben, oder ›Unsinn!‹ und vielleicht hinzugefügt hätten: ›Hört auf mit diesem Quatsch. Ich war im Warschauer Getto. Ich weiß, wie es da zuging. Verglichen mit dem Warschauer Getto ist Gaza ein Club Med.‹« Ein Club Med, wer es nicht weiß, ist ein Ferienclub mit Rundumbetreuung.

Wer an Israels Existenzrecht rührt, so Broder schließlich, nimmt in Kauf, »dass die großen Katastrophen nicht hinter, sondern vor uns liegen«. Was diese polemischen Überlegungen mit dem Geehrten zu tun haben? Broder: »Zwischen Ihren Erfahrungen in der Vergangenheit und der Zukunft Israels gibt es eine Verbindung: Es wäre Ihnen einiges erspart geblieben, wenn es diesen Staat schon vor siebzig Jahren gegeben hätte. Ihr Leben wäre weniger ereignisreich verlaufen, Ihre Erinnerungen wären unter dem Titel ›Mein Leben im Kibbuz‹ erschienen, es wäre alles nicht so spektakulär, dafür aber bekömmlicher gewesen.« mha

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal